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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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frieden, also auch unglücklich macht. Wenn
unsere Modelektüre, wie erwiesen ist, auf
die Phantasie wirkt, wer wird ihr dann diese
letzte Wirkung absprechen? ein leidenschaftli-
cher Zustand ist hier wenigstens unverkennbar
und zwar mehr oder minder wirksam.

Wenn unsere Zufriedenheit, unser Glück
in der wirklichen Welt an die Begriffe gebun-
den ist, die wir uns von den Dingen in dem-
selben machen: so muß der, den seine Phanta-
sie zu häufig aus ihr hinausführt, das lebhafte
Jnteresse daran verliehren. Von der Einbil-
dungskraft hängen unsere Empfindungen, und
von diesen wiederum die Vorstellungen mit ab.
Reizende Gegenstände der Phantasie, reizen durch
ihr Gewand das Bestreben darnach; in ihrem
Reiche gibt es aber noch keine Wirklichkeiten,
also auch keine angenehme dauerhafte Empfin-
dungen, sondern nur augenblickliche. Hieraus
folgt, das hier auch kein eigenthümliches Glück
zu finden ist, das in einem ungehinderten Fort-
gange zu größerer Vollkommenheit bestehet.
Jenes kann uns zwar Stundenlang vergnügen,
aber Lustschlösser stürzen so bald ein, wie die
Kartenhäuser der Kinder. Ein unangenehmer
leidenschaftlicher Gemüthszustand ist die Folge.
Ob nicht die überspannten Jdeen aus der Lek-

frieden, alſo auch ungluͤcklich macht. Wenn
unſere Modelektuͤre, wie erwieſen iſt, auf
die Phantaſie wirkt, wer wird ihr dann dieſe
letzte Wirkung abſprechen? ein leidenſchaftli-
cher Zuſtand iſt hier wenigſtens unverkennbar
und zwar mehr oder minder wirkſam.

Wenn unſere Zufriedenheit, unſer Gluͤck
in der wirklichen Welt an die Begriffe gebun-
den iſt, die wir uns von den Dingen in dem-
ſelben machen: ſo muß der, den ſeine Phanta-
ſie zu haͤufig aus ihr hinausfuͤhrt, das lebhafte
Jntereſſe daran verliehren. Von der Einbil-
dungskraft haͤngen unſere Empfindungen, und
von dieſen wiederum die Vorſtellungen mit ab.
Reizende Gegenſtaͤnde der Phantaſie, reizen durch
ihr Gewand das Beſtreben darnach; in ihrem
Reiche gibt es aber noch keine Wirklichkeiten,
alſo auch keine angenehme dauerhafte Empfin-
dungen, ſondern nur augenblickliche. Hieraus
folgt, das hier auch kein eigenthuͤmliches Gluͤck
zu finden iſt, das in einem ungehinderten Fort-
gange zu groͤßerer Vollkommenheit beſtehet.
Jenes kann uns zwar Stundenlang vergnuͤgen,
aber Luſtſchloͤſſer ſtuͤrzen ſo bald ein, wie die
Kartenhaͤuſer der Kinder. Ein unangenehmer
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[118/0118] frieden, alſo auch ungluͤcklich macht. Wenn unſere Modelektuͤre, wie erwieſen iſt, auf die Phantaſie wirkt, wer wird ihr dann dieſe letzte Wirkung abſprechen? ein leidenſchaftli- cher Zuſtand iſt hier wenigſtens unverkennbar und zwar mehr oder minder wirkſam. Wenn unſere Zufriedenheit, unſer Gluͤck in der wirklichen Welt an die Begriffe gebun- den iſt, die wir uns von den Dingen in dem- ſelben machen: ſo muß der, den ſeine Phanta- ſie zu haͤufig aus ihr hinausfuͤhrt, das lebhafte Jntereſſe daran verliehren. Von der Einbil- dungskraft haͤngen unſere Empfindungen, und von dieſen wiederum die Vorſtellungen mit ab. Reizende Gegenſtaͤnde der Phantaſie, reizen durch ihr Gewand das Beſtreben darnach; in ihrem Reiche gibt es aber noch keine Wirklichkeiten, alſo auch keine angenehme dauerhafte Empfin- dungen, ſondern nur augenblickliche. Hieraus folgt, das hier auch kein eigenthuͤmliches Gluͤck zu finden iſt, das in einem ungehinderten Fort- gange zu groͤßerer Vollkommenheit beſtehet. Jenes kann uns zwar Stundenlang vergnuͤgen, aber Luſtſchloͤſſer ſtuͤrzen ſo bald ein, wie die Kartenhaͤuſer der Kinder. Ein unangenehmer leidenſchaftlicher Gemuͤthszuſtand iſt die Folge. Ob nicht die uͤberſpannten Jdeen aus der Lek-

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/118>, abgerufen am 24.11.2024.