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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Lesers seyn? es möchte sich wol immer so et-
was in sein Herz stehlen, das seiner Moralität
eben nicht ersprießlich seyn dürfte. Oder sol-
len böse Leidenschaften und Charaktere das Ge-
gentheil bei dem Leser hervorbringen? Jch ver-
neine nicht daß es bei vielen Lesern der Fall
seyn kann, aber ich verneine die Allgemeinheit
dieser Wirkung.

Unangenehme Leidenschaften entstehen aus
der sinnlichen Vorstellung des Bösen. Was
läßt sich von dem denken, der sich in solchen
Vorstellungen verliert, sie gern liest? können
sie ihm noch unangenehm seyn? Jch spare
mein Urtheil, es möchte zu bitter ausfallen,
zumal wenn ich die Sprache des Herzens reden
wollte, gegen welche die Sprache der Galan-
terie so kalt ist.

Ein Buch kann Dichtung enthalten und
doch die Moralität verbessern, auch der häß-
lichste Charakter in ein gehöriges Licht gestellt,
so, daß er Abschen und Widerwillen erregt,
kann eben so geschickt seyn Gutes zu stiften, als
ein edler Charakter, nur muß er, wie alles
was geschildert wird, Wahrheit enthalten, das
heist sich in der wirklichen Welt finden, und
auf Menschen und menschliche Handlungen an-

Leſers ſeyn? es moͤchte ſich wol immer ſo et-
was in ſein Herz ſtehlen, das ſeiner Moralitaͤt
eben nicht erſprießlich ſeyn duͤrfte. Oder ſol-
len boͤſe Leidenſchaften und Charaktere das Ge-
gentheil bei dem Leſer hervorbringen? Jch ver-
neine nicht daß es bei vielen Leſern der Fall
ſeyn kann, aber ich verneine die Allgemeinheit
dieſer Wirkung.

Unangenehme Leidenſchaften entſtehen aus
der ſinnlichen Vorſtellung des Boͤſen. Was
laͤßt ſich von dem denken, der ſich in ſolchen
Vorſtellungen verliert, ſie gern lieſt? koͤnnen
ſie ihm noch unangenehm ſeyn? Jch ſpare
mein Urtheil, es moͤchte zu bitter ausfallen,
zumal wenn ich die Sprache des Herzens reden
wollte, gegen welche die Sprache der Galan-
terie ſo kalt iſt.

Ein Buch kann Dichtung enthalten und
doch die Moralitaͤt verbeſſern, auch der haͤß-
lichſte Charakter in ein gehoͤriges Licht geſtellt,
ſo, daß er Abſchen und Widerwillen erregt,
kann eben ſo geſchickt ſeyn Gutes zu ſtiften, als
ein edler Charakter, nur muß er, wie alles
was geſchildert wird, Wahrheit enthalten, das
heiſt ſich in der wirklichen Welt finden, und
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[132/0132] Leſers ſeyn? es moͤchte ſich wol immer ſo et- was in ſein Herz ſtehlen, das ſeiner Moralitaͤt eben nicht erſprießlich ſeyn duͤrfte. Oder ſol- len boͤſe Leidenſchaften und Charaktere das Ge- gentheil bei dem Leſer hervorbringen? Jch ver- neine nicht daß es bei vielen Leſern der Fall ſeyn kann, aber ich verneine die Allgemeinheit dieſer Wirkung. Unangenehme Leidenſchaften entſtehen aus der ſinnlichen Vorſtellung des Boͤſen. Was laͤßt ſich von dem denken, der ſich in ſolchen Vorſtellungen verliert, ſie gern lieſt? koͤnnen ſie ihm noch unangenehm ſeyn? Jch ſpare mein Urtheil, es moͤchte zu bitter ausfallen, zumal wenn ich die Sprache des Herzens reden wollte, gegen welche die Sprache der Galan- terie ſo kalt iſt. Ein Buch kann Dichtung enthalten und doch die Moralitaͤt verbeſſern, auch der haͤß- lichſte Charakter in ein gehoͤriges Licht geſtellt, ſo, daß er Abſchen und Widerwillen erregt, kann eben ſo geſchickt ſeyn Gutes zu ſtiften, als ein edler Charakter, nur muß er, wie alles was geſchildert wird, Wahrheit enthalten, das heiſt ſich in der wirklichen Welt finden, und auf Menſchen und menſchliche Handlungen an-

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/132>, abgerufen am 24.11.2024.