Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Wege zerknickt, ein ängstlich schreiendes Vögel-
chen, waren Gegenstände des Schmerzes. Be-
traf es einen leidenden Menschen, oder gar ei-
nen unglücklichen Liebhaber, dann gieng nichts
über die Thränenströme. Wo es auf das Hel-
fen
ankam, da war lauter Unvermögen. Was
für eine erschreckliche Verzärtelung des mensch-
lichen Leibes und Geistes! Es giebt jetzt auch noch
Menschen, besonders Frauenzimmer, die mit
Vergnügen von Schlachten lesen und reden, da-
bei aber kein Vögelchen leiden sehen wollen; in
deß bedürfte die Thräneuquelle eines neuen
Moses.

Diese Periode ist von einer andern ver-
drengt, in welcher Wunderdinge, Abscheulich-
keiten, Rittermähren, die Gegenständel der Lek-
türe sind. Wie sich wol diese beiden Extreme
reimen mögen! daß man doch nie die Mittel-
strasse zu halten sucht!

Wahrscheinlich sollten nun die weichen
Herzen aus der großen Weichlichkeit herausge-
zogen, und ihnen die Mannheit wiedergegeben
werden. Es scheint wunderbar, und doch ist
es wahr, daß die Periode der Empfindelei Vor-
bereitung auf diese war. Ob die Schriftsteller

aus

Wege zerknickt, ein aͤngſtlich ſchreiendes Voͤgel-
chen, waren Gegenſtaͤnde des Schmerzes. Be-
traf es einen leidenden Menſchen, oder gar ei-
nen ungluͤcklichen Liebhaber, dann gieng nichts
uͤber die Thraͤnenſtroͤme. Wo es auf das Hel-
fen
ankam, da war lauter Unvermoͤgen. Was
fuͤr eine erſchreckliche Verzaͤrtelung des menſch-
lichen Leibes und Geiſtes! Es giebt jetzt auch noch
Menſchen, beſonders Frauenzimmer, die mit
Vergnuͤgen von Schlachten leſen und reden, da-
bei aber kein Voͤgelchen leiden ſehen wollen; in
deß beduͤrfte die Thraͤneuquelle eines neuen
Moſes.

Dieſe Periode iſt von einer andern ver-
drengt, in welcher Wunderdinge, Abſcheulich-
keiten, Rittermaͤhren, die Gegenſtaͤndel der Lek-
tuͤre ſind. Wie ſich wol dieſe beiden Extreme
reimen moͤgen! daß man doch nie die Mittel-
ſtraſſe zu halten ſucht!

Wahrſcheinlich ſollten nun die weichen
Herzen aus der großen Weichlichkeit herausge-
zogen, und ihnen die Mannheit wiedergegeben
werden. Es ſcheint wunderbar, und doch iſt
es wahr, daß die Periode der Empfindelei Vor-
bereitung auf dieſe war. Ob die Schriftſteller

aus
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0016" n="16"/>
Wege zerknickt, ein a&#x0364;ng&#x017F;tlich &#x017F;chreiendes Vo&#x0364;gel-<lb/>
chen, waren Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde des Schmerzes. Be-<lb/>
traf es einen leidenden Men&#x017F;chen, oder gar ei-<lb/>
nen unglu&#x0364;cklichen Liebhaber, dann gieng nichts<lb/>
u&#x0364;ber die Thra&#x0364;nen&#x017F;tro&#x0364;me. Wo es auf das <hi rendition="#fr">Hel-<lb/>
fen</hi> ankam, da war lauter Unvermo&#x0364;gen. Was<lb/>
fu&#x0364;r eine er&#x017F;chreckliche Verza&#x0364;rtelung des men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Leibes und Gei&#x017F;tes! Es giebt jetzt auch noch<lb/>
Men&#x017F;chen, be&#x017F;onders Frauenzimmer, die mit<lb/>
Vergnu&#x0364;gen von Schlachten le&#x017F;en und reden, da-<lb/>
bei aber kein Vo&#x0364;gelchen leiden &#x017F;ehen wollen; in<lb/>
deß bedu&#x0364;rfte die Thra&#x0364;neuquelle eines neuen<lb/>
Mo&#x017F;es.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Periode i&#x017F;t von einer andern ver-<lb/>
drengt, in welcher Wunderdinge, Ab&#x017F;cheulich-<lb/>
keiten, Ritterma&#x0364;hren, die Gegen&#x017F;ta&#x0364;ndel der Lek-<lb/>
tu&#x0364;re &#x017F;ind. Wie &#x017F;ich wol die&#x017F;e beiden Extreme<lb/>
reimen mo&#x0364;gen! daß man doch nie die Mittel-<lb/>
&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;e zu halten &#x017F;ucht!</p><lb/>
        <p>Wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;ollten nun die weichen<lb/>
Herzen aus der großen Weichlichkeit herausge-<lb/>
zogen, und ihnen die Mannheit wiedergegeben<lb/>
werden. Es &#x017F;cheint wunderbar, und doch i&#x017F;t<lb/>
es wahr, daß die Periode der Empfindelei Vor-<lb/>
bereitung auf die&#x017F;e war. Ob die Schrift&#x017F;teller<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aus</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0016] Wege zerknickt, ein aͤngſtlich ſchreiendes Voͤgel- chen, waren Gegenſtaͤnde des Schmerzes. Be- traf es einen leidenden Menſchen, oder gar ei- nen ungluͤcklichen Liebhaber, dann gieng nichts uͤber die Thraͤnenſtroͤme. Wo es auf das Hel- fen ankam, da war lauter Unvermoͤgen. Was fuͤr eine erſchreckliche Verzaͤrtelung des menſch- lichen Leibes und Geiſtes! Es giebt jetzt auch noch Menſchen, beſonders Frauenzimmer, die mit Vergnuͤgen von Schlachten leſen und reden, da- bei aber kein Voͤgelchen leiden ſehen wollen; in deß beduͤrfte die Thraͤneuquelle eines neuen Moſes. Dieſe Periode iſt von einer andern ver- drengt, in welcher Wunderdinge, Abſcheulich- keiten, Rittermaͤhren, die Gegenſtaͤndel der Lek- tuͤre ſind. Wie ſich wol dieſe beiden Extreme reimen moͤgen! daß man doch nie die Mittel- ſtraſſe zu halten ſucht! Wahrſcheinlich ſollten nun die weichen Herzen aus der großen Weichlichkeit herausge- zogen, und ihnen die Mannheit wiedergegeben werden. Es ſcheint wunderbar, und doch iſt es wahr, daß die Periode der Empfindelei Vor- bereitung auf dieſe war. Ob die Schriftſteller aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/16
Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/16>, abgerufen am 21.11.2024.