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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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fällen. Für Männer kann sie nicht bestimmt
seyn; also wol für Frauenzimmer und Jüng-
linge. Eine Lücke kann freilich dadurch ausge-
füllt werden, und zwar für die erstern unschäd-
licher als durch das Lesen der gewöhnlichen Ro-
mane. Es ist nur Schade, daß diese dialogisir-
ten Geschichten so ein buntschäckiges Ansehen
haben, wie einst Kaiser Maximilians buntes
Statskamisol; auf der einen Seite hängt Ro-
man, auf der andern wahre Geschichte, die durch
eine Naht so zusammen hängen, daß man die
Stiche nicht finden kann. Wie gesagt, ihr Ka-
misol sollte beinah verrathen, daß sie aus dem
Clevischen Orden -- van de Geckengesellschap --
des funfzehnten Jahrhunderts hervorgegangen
wären.

Nutzen dürfen die Leser nicht von dieser Lek-
türe erwarten; es bleibt ihnen immer der Zweifel
übrig-was ist wahr an dieser Geschichte und
was ist Erdichtung. Jch dächte wir hätten für
Frauenzimmer jetzt so viele nützliche Bücher,
woraus sie Vergnügen und Verfeinerung ihrer
Empfindungen holen könnten, daß diese Art der
Lektüre wol übersiüßig wäre. Es giebt ja wah-
re Geschichten und gute Reisebeschreibungen
genug.

Betrachtet man die dialogisirten Geschichten
als Lektüre für die Jünglinge: so ist ihr Scha-

faͤllen. Fuͤr Maͤnner kann ſie nicht beſtimmt
ſeyn; alſo wol fuͤr Frauenzimmer und Juͤng-
linge. Eine Luͤcke kann freilich dadurch ausge-
fuͤllt werden, und zwar fuͤr die erſtern unſchaͤd-
licher als durch das Leſen der gewoͤhnlichen Ro-
mane. Es iſt nur Schade, daß dieſe dialogiſir-
ten Geſchichten ſo ein buntſchaͤckiges Anſehen
haben, wie einſt Kaiſer Maximilians buntes
Statskamiſol; auf der einen Seite haͤngt Ro-
man, auf der andern wahre Geſchichte, die durch
eine Naht ſo zuſammen haͤngen, daß man die
Stiche nicht finden kann. Wie geſagt, ihr Ka-
miſol ſollte beinah verrathen, daß ſie aus dem
Cleviſchen Orden — van de Geckengeſellſchap —
des funfzehnten Jahrhunderts hervorgegangen
waͤren.

Nutzen duͤrfen die Leſer nicht von dieſer Lek-
tuͤre erwarten; es bleibt ihnen immer der Zweifel
uͤbrig-was iſt wahr an dieſer Geſchichte und
was iſt Erdichtung. Jch daͤchte wir haͤtten fuͤr
Frauenzimmer jetzt ſo viele nuͤtzliche Buͤcher,
woraus ſie Vergnuͤgen und Verfeinerung ihrer
Empfindungen holen koͤnnten, daß dieſe Art der
Lektuͤre wol uͤberſiuͤßig waͤre. Es giebt ja wah-
re Geſchichten und gute Reiſebeſchreibungen
genug.

Betrachtet man die dialogiſirten Geſchichten
als Lektuͤre fuͤr die Juͤnglinge: ſo iſt ihr Scha-

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[38/0038] faͤllen. Fuͤr Maͤnner kann ſie nicht beſtimmt ſeyn; alſo wol fuͤr Frauenzimmer und Juͤng- linge. Eine Luͤcke kann freilich dadurch ausge- fuͤllt werden, und zwar fuͤr die erſtern unſchaͤd- licher als durch das Leſen der gewoͤhnlichen Ro- mane. Es iſt nur Schade, daß dieſe dialogiſir- ten Geſchichten ſo ein buntſchaͤckiges Anſehen haben, wie einſt Kaiſer Maximilians buntes Statskamiſol; auf der einen Seite haͤngt Ro- man, auf der andern wahre Geſchichte, die durch eine Naht ſo zuſammen haͤngen, daß man die Stiche nicht finden kann. Wie geſagt, ihr Ka- miſol ſollte beinah verrathen, daß ſie aus dem Cleviſchen Orden — van de Geckengeſellſchap — des funfzehnten Jahrhunderts hervorgegangen waͤren. Nutzen duͤrfen die Leſer nicht von dieſer Lek- tuͤre erwarten; es bleibt ihnen immer der Zweifel uͤbrig-was iſt wahr an dieſer Geſchichte und was iſt Erdichtung. Jch daͤchte wir haͤtten fuͤr Frauenzimmer jetzt ſo viele nuͤtzliche Buͤcher, woraus ſie Vergnuͤgen und Verfeinerung ihrer Empfindungen holen koͤnnten, daß dieſe Art der Lektuͤre wol uͤberſiuͤßig waͤre. Es giebt ja wah- re Geſchichten und gute Reiſebeſchreibungen genug. Betrachtet man die dialogiſirten Geſchichten als Lektuͤre fuͤr die Juͤnglinge: ſo iſt ihr Scha-

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/38>, abgerufen am 21.11.2024.