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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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für eine unglückliche Mutter die Stütze ihres
Alters zerbrechen zu sehen! O das Unglück das
die Lesesucht hier hervorbringt ist unbeschreiblich,
und der Grund dazu wird auf Schulen und
Universitäten gelegt!

Jch konnte dies hier nicht zurück hal-
ten, mein Herz lief mit dem Vorsatz davon,
ich wollte erst unter davon reden, wenn ich
auf die, durch die Lektüre verstimmte Einbil-
dungskraft käme, wodurch Jünglinge und Mäd-
chen zu lebendigen Phanthasien werden. Jn-
deß es schadet auch nicht wenn es hier stehet,
dort werde ich noch Stoff genug finden.

Jünglinge aus der galanten Welt und von
leeren Köpfen lesen um das Vakuum zu ver-
mehren und allenfalls an der Toilette, wenn
sie zu gelassen werden, oder in Assembleen,
wenn die Spieltische besetzt sind, mit einer
jungen Kokette dasselbe wechselseitig zu ver-
tauschen. Der vernünftige junge Mann der
von Wahrheitsdurst getrieben einen reellern
Trank suchte, den jene lose Speise ekelte,
spielt oft dabei eine erbärmliche Rolle, muß
sich wol gar als Jgnorant, als Mann ohne Ge-
schmack, als langweilig, und wie die schönen
Ausdrücke alle heißen, behandeln lassen. Sei-
ne Unterhaltung suchte Jnteresse zu erwecken,

fuͤr eine ungluͤckliche Mutter die Stuͤtze ihres
Alters zerbrechen zu ſehen! O das Ungluͤck das
die Leſeſucht hier hervorbringt iſt unbeſchreiblich,
und der Grund dazu wird auf Schulen und
Univerſitaͤten gelegt!

Jch konnte dies hier nicht zuruͤck hal-
ten, mein Herz lief mit dem Vorſatz davon,
ich wollte erſt unter davon reden, wenn ich
auf die, durch die Lektuͤre verſtimmte Einbil-
dungskraft kaͤme, wodurch Juͤnglinge und Maͤd-
chen zu lebendigen Phanthaſien werden. Jn-
deß es ſchadet auch nicht wenn es hier ſtehet,
dort werde ich noch Stoff genug finden.

Juͤnglinge aus der galanten Welt und von
leeren Koͤpfen leſen um das Vakuum zu ver-
mehren und allenfalls an der Toilette, wenn
ſie zu gelaſſen werden, oder in Aſſembleen,
wenn die Spieltiſche beſetzt ſind, mit einer
jungen Kokette daſſelbe wechſelſeitig zu ver-
tauſchen. Der vernuͤnftige junge Mann der
von Wahrheitsdurſt getrieben einen reellern
Trank ſuchte, den jene loſe Speiſe ekelte,
ſpielt oft dabei eine erbaͤrmliche Rolle, muß
ſich wol gar als Jgnorant, als Mann ohne Ge-
ſchmack, als langweilig, und wie die ſchoͤnen
Ausdruͤcke alle heißen, behandeln laſſen. Sei-
ne Unterhaltung ſuchte Jntereſſe zu erwecken,

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[75/0075] fuͤr eine ungluͤckliche Mutter die Stuͤtze ihres Alters zerbrechen zu ſehen! O das Ungluͤck das die Leſeſucht hier hervorbringt iſt unbeſchreiblich, und der Grund dazu wird auf Schulen und Univerſitaͤten gelegt! Jch konnte dies hier nicht zuruͤck hal- ten, mein Herz lief mit dem Vorſatz davon, ich wollte erſt unter davon reden, wenn ich auf die, durch die Lektuͤre verſtimmte Einbil- dungskraft kaͤme, wodurch Juͤnglinge und Maͤd- chen zu lebendigen Phanthaſien werden. Jn- deß es ſchadet auch nicht wenn es hier ſtehet, dort werde ich noch Stoff genug finden. Juͤnglinge aus der galanten Welt und von leeren Koͤpfen leſen um das Vakuum zu ver- mehren und allenfalls an der Toilette, wenn ſie zu gelaſſen werden, oder in Aſſembleen, wenn die Spieltiſche beſetzt ſind, mit einer jungen Kokette daſſelbe wechſelſeitig zu ver- tauſchen. Der vernuͤnftige junge Mann der von Wahrheitsdurſt getrieben einen reellern Trank ſuchte, den jene loſe Speiſe ekelte, ſpielt oft dabei eine erbaͤrmliche Rolle, muß ſich wol gar als Jgnorant, als Mann ohne Ge- ſchmack, als langweilig, und wie die ſchoͤnen Ausdruͤcke alle heißen, behandeln laſſen. Sei- ne Unterhaltung ſuchte Jntereſſe zu erwecken,

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/75>, abgerufen am 26.11.2024.