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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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An Hiller.

1793.


Du lebtest, Freund! -- Wer nicht die
köstliche
Reliquie des Paradieses, nicht
Der Liebe goldne königliche Frucht,
Wie Du, auf seinem Lebenswege brach,
Wem nie im Kreise freier Jünglinge
In süßem Ernst der Freundschaft trunkne Zähre
Hinab ins Blut der heil'gen Rebe rann,
Wer nicht, wie Du, aus dem begeisternden
Dem ewigvollen Becher der Natur
Sich Muth und Kraft, und Lieb' und Freude trank,
Der lebte nie, und wenn sich ein Jahrhundert,
Wie eine Last, auf seiner Schulter häuft. --
Du lebtest, Freund! es blüht nur wenigen
Des Lebens Morgen, wie er Dir geblüht;
Du fandest Herzen, Dir an Einfalt, Dir
An edelm Stolze gleich; es sproßten Dir
Viel schöne Blüthen der Geselligkeit;
Auch adelte die innigere Lust,
Die Tochter weiser Einsamkeit, Dein Herz;
Für jeden Reitz der Hügel und der Thale,
An Hiller.

1793.


Du lebteſt, Freund! — Wer nicht die
koͤſtliche
Reliquie des Paradieſes, nicht
Der Liebe goldne koͤnigliche Frucht,
Wie Du, auf ſeinem Lebenswege brach,
Wem nie im Kreiſe freier Juͤnglinge
In ſuͤßem Ernſt der Freundſchaft trunkne Zaͤhre
Hinab ins Blut der heil'gen Rebe rann,
Wer nicht, wie Du, aus dem begeiſternden
Dem ewigvollen Becher der Natur
Sich Muth und Kraft, und Lieb' und Freude trank,
Der lebte nie, und wenn ſich ein Jahrhundert,
Wie eine Laſt, auf ſeiner Schulter haͤuft. —
Du lebteſt, Freund! es bluͤht nur wenigen
Des Lebens Morgen, wie er Dir gebluͤht;
Du fandeſt Herzen, Dir an Einfalt, Dir
An edelm Stolze gleich; es ſproßten Dir
Viel ſchoͤne Bluͤthen der Geſelligkeit;
Auch adelte die innigere Luſt,
Die Tochter weiſer Einſamkeit, Dein Herz;
Fuͤr jeden Reitz der Huͤgel und der Thale,
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[114/0122] An Hiller. 1793. Du lebteſt, Freund! — Wer nicht die koͤſtliche Reliquie des Paradieſes, nicht Der Liebe goldne koͤnigliche Frucht, Wie Du, auf ſeinem Lebenswege brach, Wem nie im Kreiſe freier Juͤnglinge In ſuͤßem Ernſt der Freundſchaft trunkne Zaͤhre Hinab ins Blut der heil'gen Rebe rann, Wer nicht, wie Du, aus dem begeiſternden Dem ewigvollen Becher der Natur Sich Muth und Kraft, und Lieb' und Freude trank, Der lebte nie, und wenn ſich ein Jahrhundert, Wie eine Laſt, auf ſeiner Schulter haͤuft. — Du lebteſt, Freund! es bluͤht nur wenigen Des Lebens Morgen, wie er Dir gebluͤht; Du fandeſt Herzen, Dir an Einfalt, Dir An edelm Stolze gleich; es ſproßten Dir Viel ſchoͤne Bluͤthen der Geſelligkeit; Auch adelte die innigere Luſt, Die Tochter weiſer Einſamkeit, Dein Herz; Fuͤr jeden Reitz der Huͤgel und der Thale,

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/122>, abgerufen am 21.11.2024.