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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Für jede Grazien des Frühlings ward
Ein offnes unumwölktes Auge Dir.

Dich, Glücklicher, umfieng die Riesentochter
Der schaffenden Natur, Helvetia;
Wo frei und stark, der alte, stolze Rhein
Vom Fels hinunter donnert, standest Du,
Und jubeltest ins herrliche Getümmel.
Wo Fels und Wald ein holdes zauberisches
Arkadien umschließt, wo himmelhoch Gebirg,
Deß tausendjähr'gen Scheitel ew'ger Schnee,
Wie Silberhaar des Greisen Stirne, kränzt,
Umschwebt von Wetterwolken und von Adlern,
Sich unabsehbar in die Ferne dehnt,
Wo Tells und Walters heiliges Gebein
Der unentweihten freundlichen Natur
Im Schoose schläft, und manches Helden Staub
Vom leisen Abendwind emporgeweht,
Des Sennen sorgenfreies Dach umwallt,
Dort fühltest Du, was groß und göttlich ist,
Von seligen Entwürfen glühte Dir
Von tausend goldnen Träumen Deine Brust;
Und als Du nun vom lieben heilgen Lande
Der Einfalt und der freien Künste schiedst,
Da wölkte freilich sich die Stirne Dir,
Doch schuf Dir bald mit deinem Zauberstabe
Manch selig Stündchen die Erinnerung.

Fuͤr jede Grazien des Fruͤhlings ward
Ein offnes unumwoͤlktes Auge Dir.

Dich, Gluͤcklicher, umfieng die Rieſentochter
Der ſchaffenden Natur, Helvetia;
Wo frei und ſtark, der alte, ſtolze Rhein
Vom Fels hinunter donnert, ſtandeſt Du,
Und jubelteſt ins herrliche Getuͤmmel.
Wo Fels und Wald ein holdes zauberiſches
Arkadien umſchließt, wo himmelhoch Gebirg,
Deß tauſendjaͤhr'gen Scheitel ew'ger Schnee,
Wie Silberhaar des Greiſen Stirne, kraͤnzt,
Umſchwebt von Wetterwolken und von Adlern,
Sich unabſehbar in die Ferne dehnt,
Wo Tells und Walters heiliges Gebein
Der unentweihten freundlichen Natur
Im Schooſe ſchlaͤft, und manches Helden Staub
Vom leiſen Abendwind emporgeweht,
Des Sennen ſorgenfreies Dach umwallt,
Dort fuͤhlteſt Du, was groß und goͤttlich iſt,
Von ſeligen Entwuͤrfen gluͤhte Dir
Von tauſend goldnen Traͤumen Deine Bruſt;
Und als Du nun vom lieben heilgen Lande
Der Einfalt und der freien Kuͤnſte ſchiedſt,
Da woͤlkte freilich ſich die Stirne Dir,
Doch ſchuf Dir bald mit deinem Zauberſtabe
Manch ſelig Stuͤndchen die Erinnerung.
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[115/0123] Fuͤr jede Grazien des Fruͤhlings ward Ein offnes unumwoͤlktes Auge Dir. Dich, Gluͤcklicher, umfieng die Rieſentochter Der ſchaffenden Natur, Helvetia; Wo frei und ſtark, der alte, ſtolze Rhein Vom Fels hinunter donnert, ſtandeſt Du, Und jubelteſt ins herrliche Getuͤmmel. Wo Fels und Wald ein holdes zauberiſches Arkadien umſchließt, wo himmelhoch Gebirg, Deß tauſendjaͤhr'gen Scheitel ew'ger Schnee, Wie Silberhaar des Greiſen Stirne, kraͤnzt, Umſchwebt von Wetterwolken und von Adlern, Sich unabſehbar in die Ferne dehnt, Wo Tells und Walters heiliges Gebein Der unentweihten freundlichen Natur Im Schooſe ſchlaͤft, und manches Helden Staub Vom leiſen Abendwind emporgeweht, Des Sennen ſorgenfreies Dach umwallt, Dort fuͤhlteſt Du, was groß und goͤttlich iſt, Von ſeligen Entwuͤrfen gluͤhte Dir Von tauſend goldnen Traͤumen Deine Bruſt; Und als Du nun vom lieben heilgen Lande Der Einfalt und der freien Kuͤnſte ſchiedſt, Da woͤlkte freilich ſich die Stirne Dir, Doch ſchuf Dir bald mit deinem Zauberſtabe Manch ſelig Stuͤndchen die Erinnerung.

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/123>, abgerufen am 21.11.2024.