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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Allversöhnend und still, mit armen Sterblichen
gieng er,
Dieser einzige Mann, göttlich im Geiste, dahin.
Keins der Lebenden war aus seiner Seele geschlossen,
Und die Leiden der Welt trug er an liebender
Brust.
Mit dem Tode befreundet' er sich, im Namen der
Andern
Gieng er aus Schmerzen und Müh'n, siegend,
zum Vater zurück.
Und Du kennest ihn auch, Du theuere Mutter,
und wandelst
Glaubend und duldend und still ihm dem Er-
habenen nach.
Sieh! es haben mich selbst verjüngt die kindlichen
Worte,
Und es rinnen, wie einst, Thränen vom Auge
mir noch;
Und ich denke zurück an längst vergangene Tage,
Und die Heimath erfreut wieder mein einsam
Gemüth,
Und das Haus, wo ich einst bei deinen Segnungen
aufwuchs,
Wo, von Liebe genährt, schneller der Knabe gedieh.
Ach! wie dacht' ich dann oft, Du solltest meiner
Dich freuen,
Wenn ich ferne mich sah wirkend in offener Welt.
Allverſoͤhnend und ſtill, mit armen Sterblichen
gieng er,
Dieſer einzige Mann, goͤttlich im Geiſte, dahin.
Keins der Lebenden war aus ſeiner Seele geſchloſſen,
Und die Leiden der Welt trug er an liebender
Bruſt.
Mit dem Tode befreundet' er ſich, im Namen der
Andern
Gieng er aus Schmerzen und Muͤh'n, ſiegend,
zum Vater zuruͤck.
Und Du kenneſt ihn auch, Du theuere Mutter,
und wandelſt
Glaubend und duldend und ſtill ihm dem Er-
habenen nach.
Sieh! es haben mich ſelbſt verjuͤngt die kindlichen
Worte,
Und es rinnen, wie einſt, Thraͤnen vom Auge
mir noch;
Und ich denke zuruͤck an laͤngſt vergangene Tage,
Und die Heimath erfreut wieder mein einſam
Gemuͤth,
Und das Haus, wo ich einſt bei deinen Segnungen
aufwuchs,
Wo, von Liebe genaͤhrt, ſchneller der Knabe gedieh.
Ach! wie dacht' ich dann oft, Du ſollteſt meiner
Dich freuen,
Wenn ich ferne mich ſah wirkend in offener Welt.
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[118/0126] Allverſoͤhnend und ſtill, mit armen Sterblichen gieng er, Dieſer einzige Mann, goͤttlich im Geiſte, dahin. Keins der Lebenden war aus ſeiner Seele geſchloſſen, Und die Leiden der Welt trug er an liebender Bruſt. Mit dem Tode befreundet' er ſich, im Namen der Andern Gieng er aus Schmerzen und Muͤh'n, ſiegend, zum Vater zuruͤck. Und Du kenneſt ihn auch, Du theuere Mutter, und wandelſt Glaubend und duldend und ſtill ihm dem Er- habenen nach. Sieh! es haben mich ſelbſt verjuͤngt die kindlichen Worte, Und es rinnen, wie einſt, Thraͤnen vom Auge mir noch; Und ich denke zuruͤck an laͤngſt vergangene Tage, Und die Heimath erfreut wieder mein einſam Gemuͤth, Und das Haus, wo ich einſt bei deinen Segnungen aufwuchs, Wo, von Liebe genaͤhrt, ſchneller der Knabe gedieh. Ach! wie dacht' ich dann oft, Du ſollteſt meiner Dich freuen, Wenn ich ferne mich ſah wirkend in offener Welt.

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/126>, abgerufen am 21.11.2024.