Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Zeitgeist.

Zu lang schon waltest über dem Haupte mir
Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit!
Zu wild, zu bang ist's ringsum, und es
Trümmert und wankt ja, wohin ich blicke.
Ach! wie ein Knabe seh' ich zu Boden oft,
Such' in der Höhle Rettung vor Dir, und möcht,'
Ich Blöder, eine Stelle finden,
Alleserschütt'rer! wo Du nicht wärest.
Lass' endlich, Vater! offenen Aug's mich Dir
Begegnen! hast denn Du nicht zuerst den Geist
Mit Deinem Stral aus mir geweckt? mich
Herrlich an's Leben gebracht, o Vater!
Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft;
In milder Luft begegnet den Sterblichen,
Und wenn sie still im Haine wandeln,
Heiternd ein Gott; doch allmächt'ger weckst Du
Die reine Seele Jünglingen auf, und lehrst
Die Alten weise Künste; der Schlimme nur
Wird schlimmer, daß er bälder ende,
Wenn Du, Erschütterer! ihn ergreifest.

Der Zeitgeiſt.

Zu lang ſchon walteſt uͤber dem Haupte mir
Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit!
Zu wild, zu bang iſt's ringsum, und es
Truͤmmert und wankt ja, wohin ich blicke.
Ach! wie ein Knabe ſeh' ich zu Boden oft,
Such' in der Hoͤhle Rettung vor Dir, und moͤcht,'
Ich Bloͤder, eine Stelle finden,
Alleserſchuͤtt'rer! wo Du nicht waͤreſt.
Laſſ' endlich, Vater! offenen Aug's mich Dir
Begegnen! haſt denn Du nicht zuerſt den Geiſt
Mit Deinem Stral aus mir geweckt? mich
Herrlich an's Leben gebracht, o Vater!
Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft;
In milder Luft begegnet den Sterblichen,
Und wenn ſie ſtill im Haine wandeln,
Heiternd ein Gott; doch allmaͤcht'ger weckſt Du
Die reine Seele Juͤnglingen auf, und lehrſt
Die Alten weiſe Kuͤnſte; der Schlimme nur
Wird ſchlimmer, daß er baͤlder ende,
Wenn Du, Erſchuͤtterer! ihn ergreifeſt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0052" n="44"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#g">Der Zeitgei&#x017F;t</hi>.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Zu lang &#x017F;chon walte&#x017F;t u&#x0364;ber dem Haupte mir</l><lb/>
            <l>Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit!</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Zu wild, zu bang i&#x017F;t's ringsum, und es</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Tru&#x0364;mmert und wankt ja, wohin ich blicke.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Ach! wie ein Knabe &#x017F;eh' ich zu Boden oft,</l><lb/>
            <l>Such' in der Ho&#x0364;hle Rettung vor Dir, und mo&#x0364;cht,'</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Ich Blo&#x0364;der, eine Stelle finden,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Alleser&#x017F;chu&#x0364;tt'rer! wo Du nicht wa&#x0364;re&#x017F;t.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>La&#x017F;&#x017F;' endlich, Vater! offenen Aug's mich Dir</l><lb/>
            <l>Begegnen! ha&#x017F;t denn Du nicht zuer&#x017F;t den Gei&#x017F;t</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Mit Deinem Stral aus mir geweckt? mich</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Herrlich an's Leben gebracht, o Vater!</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="4">
            <l>Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft;</l><lb/>
            <l>In milder Luft begegnet den Sterblichen,</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Und wenn &#x017F;ie &#x017F;till im Haine wandeln,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Heiternd ein Gott; doch allma&#x0364;cht'ger weck&#x017F;t Du</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="5">
            <l>Die reine Seele Ju&#x0364;nglingen auf, und lehr&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Die Alten wei&#x017F;e Ku&#x0364;n&#x017F;te; der Schlimme nur</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Wird &#x017F;chlimmer, daß er ba&#x0364;lder ende,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Wenn Du, Er&#x017F;chu&#x0364;tterer! ihn ergreife&#x017F;t.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <l/>
        </lg>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0052] Der Zeitgeiſt. Zu lang ſchon walteſt uͤber dem Haupte mir Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit! Zu wild, zu bang iſt's ringsum, und es Truͤmmert und wankt ja, wohin ich blicke. Ach! wie ein Knabe ſeh' ich zu Boden oft, Such' in der Hoͤhle Rettung vor Dir, und moͤcht,' Ich Bloͤder, eine Stelle finden, Alleserſchuͤtt'rer! wo Du nicht waͤreſt. Laſſ' endlich, Vater! offenen Aug's mich Dir Begegnen! haſt denn Du nicht zuerſt den Geiſt Mit Deinem Stral aus mir geweckt? mich Herrlich an's Leben gebracht, o Vater! Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft; In milder Luft begegnet den Sterblichen, Und wenn ſie ſtill im Haine wandeln, Heiternd ein Gott; doch allmaͤcht'ger weckſt Du Die reine Seele Juͤnglingen auf, und lehrſt Die Alten weiſe Kuͤnſte; der Schlimme nur Wird ſchlimmer, daß er baͤlder ende, Wenn Du, Erſchuͤtterer! ihn ergreifeſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/52
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/52>, abgerufen am 21.11.2024.