Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Tod, stumm und unbekümmert um seine Gesellschaft,
hatte er so sehr die Miene der Einfalt, dass ein Engel¬
länder, der nicht eben besonders mit Verstande gesegnet
war, ihn deshalb vorzüglich lieb gewann, weil er ihn
für ein schickliches Ziel seines unschuldigen Wizes hielt.
Nur in seinen hellblauen Augen schimmerte ein treuher¬
ziges, mit etwas Schalkhaftigkeit vermischtes Lächeln,
welches sich, wenn er mit Wohlgefallen las, durch
eine schöne Gegend hin, oder rücklings unter einem
blühenden Baume lag, über sein ganzes Gesicht ver¬
breitete. Dieses behagliche Staunen dauerte einige Zeit,
und dann pflegte er manchmal mit voller Herzlichkeit
auszurufen: Das ist herlich! Aber gewöhnlicher ver¬
schloss er seine Empfindungen in sich selbst; und wenn
er sie mittheilte, so geschah es fast immer auf eine be¬
sondre Art. Er war mit einigen Freunden bei Hahn,
als die Nachricht kam, dass Klopstock durch Göttingen
reisen würde. Er hatte sich bisher ganz ruhig, mit dem
Butterbrot in der Hand, auf dem Stuhle gewiegt; mit
einmal stand er auf, und bewegte sich langsam und stol¬
pernd auf der linken Ferse herum. Was machst du da,
Hölty? fragte ihn einer. Ich freue mich! antwortete er
lächelnd. Bei kleinen vertraulichen Schmäusen, sonder¬
lich wo Rheinwein blinkte, war er sehr fröhlich. Er
lagerte sich auf Rosenblätter, salbte wie Anakreon
seinen Bart mit Balsam, und machte so gewaltige An¬
stalten zum Trinken, als ob aus dem Schlusse seines

Rhein¬

Tod, ſtumm und unbekümmert um ſeine Geſellſchaft,
hatte er ſo ſehr die Miene der Einfalt, daſs ein Engel¬
länder, der nicht eben beſonders mit Verſtande geſegnet
war, ihn deshalb vorzüglich lieb gewann, weil er ihn
für ein ſchickliches Ziel ſeines unſchuldigen Wizes hielt.
Nur in ſeinen hellblauen Augen ſchimmerte ein treuher¬
ziges, mit etwas Schalkhaftigkeit vermiſchtes Lächeln,
welches ſich, wenn er mit Wohlgefallen las, durch
eine ſchöne Gegend hin, oder rücklings unter einem
blühenden Baume lag, über ſein ganzes Geſicht ver¬
breitete. Dieſes behagliche Staunen dauerte einige Zeit,
und dann pflegte er manchmal mit voller Herzlichkeit
auszurufen: Das iſt herlich! Aber gewöhnlicher ver¬
ſchloſs er ſeine Empfindungen in ſich ſelbſt; und wenn
er ſie mittheilte, ſo geſchah es faſt immer auf eine be¬
ſondre Art. Er war mit einigen Freunden bei Hahn,
als die Nachricht kam, daſs Klopſtock durch Göttingen
reiſen würde. Er hatte ſich bisher ganz ruhig, mit dem
Butterbrot in der Hand, auf dem Stuhle gewiegt; mit
einmal ſtand er auf, und bewegte ſich langſam und ſtol¬
pernd auf der linken Ferſe herum. Was machſt du da,
Hölty? fragte ihn einer. Ich freue mich! antwortete er
lächelnd. Bei kleinen vertraulichen Schmäuſen, ſonder¬
lich wo Rheinwein blinkte, war er ſehr fröhlich. Er
lagerte ſich auf Roſenblätter, ſalbte wie Anakreon
ſeinen Bart mit Balſam, und machte ſo gewaltige An¬
ſtalten zum Trinken, als ob aus dem Schluſſe ſeines

Rhein¬
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="IX"/>
Tod, &#x017F;tumm und unbekümmert um &#x017F;eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft,<lb/>
hatte er &#x017F;o &#x017F;ehr die Miene der Einfalt, da&#x017F;s ein Engel¬<lb/>
länder, der nicht eben be&#x017F;onders mit Ver&#x017F;tande ge&#x017F;egnet<lb/>
war, ihn deshalb vorzüglich lieb gewann, weil er ihn<lb/>
für ein &#x017F;chickliches Ziel &#x017F;eines un&#x017F;chuldigen Wizes hielt.<lb/>
Nur in &#x017F;einen hellblauen Augen &#x017F;chimmerte ein treuher¬<lb/>
ziges, mit etwas Schalkhaftigkeit vermi&#x017F;chtes Lächeln,<lb/>
welches &#x017F;ich, wenn er mit Wohlgefallen las, durch<lb/>
eine &#x017F;chöne Gegend hin, oder rücklings unter einem<lb/>
blühenden Baume lag, über &#x017F;ein ganzes Ge&#x017F;icht ver¬<lb/>
breitete. Die&#x017F;es behagliche Staunen dauerte einige Zeit,<lb/>
und dann pflegte er manchmal mit voller Herzlichkeit<lb/>
auszurufen: Das i&#x017F;t herlich! Aber gewöhnlicher ver¬<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;s er &#x017F;eine Empfindungen in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t; und wenn<lb/>
er &#x017F;ie mittheilte, &#x017F;o ge&#x017F;chah es fa&#x017F;t immer auf eine be¬<lb/>
&#x017F;ondre Art. Er war mit einigen Freunden bei Hahn,<lb/>
als die Nachricht kam, da&#x017F;s Klop&#x017F;tock durch Göttingen<lb/>
rei&#x017F;en würde. Er hatte &#x017F;ich bisher ganz ruhig, mit dem<lb/>
Butterbrot in der Hand, auf dem Stuhle gewiegt; mit<lb/>
einmal &#x017F;tand er auf, und bewegte &#x017F;ich lang&#x017F;am und &#x017F;tol¬<lb/>
pernd auf der linken Fer&#x017F;e herum. Was mach&#x017F;t du da,<lb/>
Hölty? fragte ihn einer. Ich freue mich! antwortete er<lb/>
lächelnd. Bei kleinen vertraulichen Schmäu&#x017F;en, &#x017F;onder¬<lb/>
lich wo Rheinwein blinkte, war er &#x017F;ehr fröhlich. Er<lb/>
lagerte &#x017F;ich auf Ro&#x017F;enblätter, &#x017F;albte wie Anakreon<lb/>
&#x017F;einen Bart mit Bal&#x017F;am, und machte &#x017F;o gewaltige An¬<lb/>
&#x017F;talten zum Trinken, als ob aus dem Schlu&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eines<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Rhein¬<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[IX/0017] Tod, ſtumm und unbekümmert um ſeine Geſellſchaft, hatte er ſo ſehr die Miene der Einfalt, daſs ein Engel¬ länder, der nicht eben beſonders mit Verſtande geſegnet war, ihn deshalb vorzüglich lieb gewann, weil er ihn für ein ſchickliches Ziel ſeines unſchuldigen Wizes hielt. Nur in ſeinen hellblauen Augen ſchimmerte ein treuher¬ ziges, mit etwas Schalkhaftigkeit vermiſchtes Lächeln, welches ſich, wenn er mit Wohlgefallen las, durch eine ſchöne Gegend hin, oder rücklings unter einem blühenden Baume lag, über ſein ganzes Geſicht ver¬ breitete. Dieſes behagliche Staunen dauerte einige Zeit, und dann pflegte er manchmal mit voller Herzlichkeit auszurufen: Das iſt herlich! Aber gewöhnlicher ver¬ ſchloſs er ſeine Empfindungen in ſich ſelbſt; und wenn er ſie mittheilte, ſo geſchah es faſt immer auf eine be¬ ſondre Art. Er war mit einigen Freunden bei Hahn, als die Nachricht kam, daſs Klopſtock durch Göttingen reiſen würde. Er hatte ſich bisher ganz ruhig, mit dem Butterbrot in der Hand, auf dem Stuhle gewiegt; mit einmal ſtand er auf, und bewegte ſich langſam und ſtol¬ pernd auf der linken Ferſe herum. Was machſt du da, Hölty? fragte ihn einer. Ich freue mich! antwortete er lächelnd. Bei kleinen vertraulichen Schmäuſen, ſonder¬ lich wo Rheinwein blinkte, war er ſehr fröhlich. Er lagerte ſich auf Roſenblätter, ſalbte wie Anakreon ſeinen Bart mit Balſam, und machte ſo gewaltige An¬ ſtalten zum Trinken, als ob aus dem Schluſſe ſeines Rhein¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelty_gedichte_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelty_gedichte_1783/17
Zitationshilfe: Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelty_gedichte_1783/17>, abgerufen am 21.11.2024.