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Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822.

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gerade, wenn die Leute über Kunst und Wissenschaft,
über die Tendenzen des höhern Lebens überhaupt ganz
ausnehmend herrlich sprachen, gar nicht eindrangen
in die Tiefe des Gehirns, sondern wieder zurückwuch¬
sen, so daß von deutlicher Erkennung der Gedanken,
gar nicht die Rede seyn konnte. Er theilte seine Be¬
merkung dem Meister Floh mit, der gewöhnlich in ei¬
ner Falte des Halstuchs saß. Meister Floh meinte,
daß das, was Peregrinus für Gedanken halte, gar
keine wären, sondern nur Worte, die sich vergeblich
mühten, Gedanken zu werden.

Erlustigte sich nun Herr Peregrinus Tyß in der
Gesellschaft auf mannigfache Weise, so ließ auch sein
treuer Begleiter, Meister Floh, viel von seinem Ernste
nach, und bewies sich als ein kleiner schalkischer Lüst¬
ling, als ein aimable roue. Keinen schönen Hals,
keinen weißen Nacken eines Frauenzimmers konnte
er nämlich sehen, ohne bei der ersten besten Gelegen¬
heit aus seinem Schlupfwinkel hervor und auf
den einladenden Sitz zu springen, wo er jeder Nach¬
stellung gespitzter Finger geschickt zu entgehen wußte.
Dieß Manoeuvre umfaßte ein doppeltes Interesse.
Einmal fand er selbst seine Lust daran, dann wollte
er aber auch des Peregrinus Blicke auf Schönheiten
ziehn, die Dörtjes Bild verdunkeln sollten. Dieß

gerade, wenn die Leute über Kunſt und Wiſſenſchaft,
über die Tendenzen des höhern Lebens überhaupt ganz
ausnehmend herrlich ſprachen, gar nicht eindrangen
in die Tiefe des Gehirns, ſondern wieder zurückwuch¬
ſen, ſo daß von deutlicher Erkennung der Gedanken,
gar nicht die Rede ſeyn konnte. Er theilte ſeine Be¬
merkung dem Meiſter Floh mit, der gewöhnlich in ei¬
ner Falte des Halstuchs ſaß. Meiſter Floh meinte,
daß das, was Peregrinus für Gedanken halte, gar
keine wären, ſondern nur Worte, die ſich vergeblich
mühten, Gedanken zu werden.

Erluſtigte ſich nun Herr Peregrinus Tyß in der
Geſellſchaft auf mannigfache Weiſe, ſo ließ auch ſein
treuer Begleiter, Meiſter Floh, viel von ſeinem Ernſte
nach, und bewies ſich als ein kleiner ſchalkiſcher Lüſt¬
ling, als ein aimable roué. Keinen ſchönen Hals,
keinen weißen Nacken eines Frauenzimmers konnte
er nämlich ſehen, ohne bei der erſten beſten Gelegen¬
heit aus ſeinem Schlupfwinkel hervor und auf
den einladenden Sitz zu ſpringen, wo er jeder Nach¬
ſtellung geſpitzter Finger geſchickt zu entgehen wußte.
Dieß Manoeuvre umfaßte ein doppeltes Intereſſe.
Einmal fand er ſelbſt ſeine Luſt daran, dann wollte
er aber auch des Peregrinus Blicke auf Schönheiten
ziehn, die Dörtjes Bild verdunkeln ſollten. Dieß

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[152/0157] gerade, wenn die Leute über Kunſt und Wiſſenſchaft, über die Tendenzen des höhern Lebens überhaupt ganz ausnehmend herrlich ſprachen, gar nicht eindrangen in die Tiefe des Gehirns, ſondern wieder zurückwuch¬ ſen, ſo daß von deutlicher Erkennung der Gedanken, gar nicht die Rede ſeyn konnte. Er theilte ſeine Be¬ merkung dem Meiſter Floh mit, der gewöhnlich in ei¬ ner Falte des Halstuchs ſaß. Meiſter Floh meinte, daß das, was Peregrinus für Gedanken halte, gar keine wären, ſondern nur Worte, die ſich vergeblich mühten, Gedanken zu werden. Erluſtigte ſich nun Herr Peregrinus Tyß in der Geſellſchaft auf mannigfache Weiſe, ſo ließ auch ſein treuer Begleiter, Meiſter Floh, viel von ſeinem Ernſte nach, und bewies ſich als ein kleiner ſchalkiſcher Lüſt¬ ling, als ein aimable roué. Keinen ſchönen Hals, keinen weißen Nacken eines Frauenzimmers konnte er nämlich ſehen, ohne bei der erſten beſten Gelegen¬ heit aus ſeinem Schlupfwinkel hervor und auf den einladenden Sitz zu ſpringen, wo er jeder Nach¬ ſtellung geſpitzter Finger geſchickt zu entgehen wußte. Dieß Manoeuvre umfaßte ein doppeltes Intereſſe. Einmal fand er ſelbſt ſeine Luſt daran, dann wollte er aber auch des Peregrinus Blicke auf Schönheiten ziehn, die Dörtjes Bild verdunkeln ſollten. Dieß

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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/157>, abgerufen am 23.11.2024.