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Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822.

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ten Mondesstral hineinleuchten ließ unter die Zuhö¬
rer, da wurde jedem die Brust enge, und selbst der
Tadel des eigensinnigsten Pedanten mußte verstum¬
men. --

Pepusch setzte in diesen Abendunterhaltungen sein
Studium eifrig fort, das heißt, er starrte zwei Stun¬
den lang die Holländerin an, und verließ dann mit
den übrigen den Saal.

Einmal stand er der Holländerin näher als ge¬
wöhnlich und hörte deutlich, wie sie zu einem jungen
Manne sprach: "Sagen Sie mir, wer ist dieses leb¬
lose Gespenst, das mich jeden Abend Stunden lang
anstarrt und dann lautlos verschwindet?"

Pepusch fühlte sich tief verletzt, tobte und lärmte
auf seinem Zimmer, stellte sich so ungebehrdig, daß
kein Freund ihn in diesem tollen Wesen wieder erkannt
haben würde. Er schwur hoch und theuer, die bos¬
hafte Holländerin niemals wieder zu sehen, unterließ
aber nicht, gleich am andern Abend sich zur gewöhnlichen
Stunde bei Leuwenhöck einzufinden und wo möglich die
schöne Dörtje mit noch erstarrterem Blick anzugaffen.
Schon auf der Treppe war er freilich darüber sehr er¬
schrocken, daß er eben die Treppe hinaufstieg und hatte in
aller Schnelligkeit den weisen Vorsatz gefaßt, sich wenig¬
stens von dem verführerischen Wesen ganz entfernt zu

ten Mondesſtral hineinleuchten ließ unter die Zuhö¬
rer, da wurde jedem die Bruſt enge, und ſelbſt der
Tadel des eigenſinnigſten Pedanten mußte verſtum¬
men. —

Pepuſch ſetzte in dieſen Abendunterhaltungen ſein
Studium eifrig fort, das heißt, er ſtarrte zwei Stun¬
den lang die Holländerin an, und verließ dann mit
den übrigen den Saal.

Einmal ſtand er der Holländerin näher als ge¬
wöhnlich und hörte deutlich, wie ſie zu einem jungen
Manne ſprach: »Sagen Sie mir, wer iſt dieſes leb¬
loſe Geſpenſt, das mich jeden Abend Stunden lang
anſtarrt und dann lautlos verſchwindet?»

Pepuſch fühlte ſich tief verletzt, tobte und lärmte
auf ſeinem Zimmer, ſtellte ſich ſo ungebehrdig, daß
kein Freund ihn in dieſem tollen Weſen wieder erkannt
haben würde. Er ſchwur hoch und theuer, die bos¬
hafte Holländerin niemals wieder zu ſehen, unterließ
aber nicht, gleich am andern Abend ſich zur gewöhnlichen
Stunde bei Leuwenhöck einzufinden und wo möglich die
ſchöne Dörtje mit noch erſtarrterem Blick anzugaffen.
Schon auf der Treppe war er freilich darüber ſehr er¬
ſchrocken, daß er eben die Treppe hinaufſtieg und hatte in
aller Schnelligkeit den weiſen Vorſatz gefaßt, ſich wenig¬
ſtens von dem verführeriſchen Weſen ganz entfernt zu

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[73/0078] ten Mondesſtral hineinleuchten ließ unter die Zuhö¬ rer, da wurde jedem die Bruſt enge, und ſelbſt der Tadel des eigenſinnigſten Pedanten mußte verſtum¬ men. — Pepuſch ſetzte in dieſen Abendunterhaltungen ſein Studium eifrig fort, das heißt, er ſtarrte zwei Stun¬ den lang die Holländerin an, und verließ dann mit den übrigen den Saal. Einmal ſtand er der Holländerin näher als ge¬ wöhnlich und hörte deutlich, wie ſie zu einem jungen Manne ſprach: »Sagen Sie mir, wer iſt dieſes leb¬ loſe Geſpenſt, das mich jeden Abend Stunden lang anſtarrt und dann lautlos verſchwindet?» Pepuſch fühlte ſich tief verletzt, tobte und lärmte auf ſeinem Zimmer, ſtellte ſich ſo ungebehrdig, daß kein Freund ihn in dieſem tollen Weſen wieder erkannt haben würde. Er ſchwur hoch und theuer, die bos¬ hafte Holländerin niemals wieder zu ſehen, unterließ aber nicht, gleich am andern Abend ſich zur gewöhnlichen Stunde bei Leuwenhöck einzufinden und wo möglich die ſchöne Dörtje mit noch erſtarrterem Blick anzugaffen. Schon auf der Treppe war er freilich darüber ſehr er¬ ſchrocken, daß er eben die Treppe hinaufſtieg und hatte in aller Schnelligkeit den weiſen Vorſatz gefaßt, ſich wenig¬ ſtens von dem verführeriſchen Weſen ganz entfernt zu

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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/78>, abgerufen am 21.11.2024.