schien mir freundlich, die Gegend anmuthig und doch erschrak ich nicht wenig über den mir ge¬ drohten Aufenthalt. Warst Du, günstiger Leser! jemals genöthigt, in einer kleinen Stadt, wo Du niemanden -- niemanden kanntest, wo Du jedem fremd bliebst, drei Tage zu verweilen, und hat nicht irgend ein tiefer Schmerz den Drang nach gemüthlicher Mittheilung in Dir weggezehrt, so wirst Du mein Unbehagen mit mir fühlen. In dem Wort geht ja erst der Geist des Lebens auf in Allem um uns her; aber die Kleinstädter sind wie ein in sich selbst verübtes, abgeschlossenes Orchester eingespielt und eingesungen, nur ihre eignen Stücke gehen rein und richtig, jeder Ton des Fremden dissonirt ihren Ohren und bringt sie augenblicklich zum Schweigen. -- Recht mißlau¬ nig schritt ich in meinem Zimmer auf und ab; da fiel mir plötzlich ein, daß ein Freund in der Heimath, der ehemals ein paar Jahre hindurch in G. gewesen, oft von einem gelehrten geistrei¬ chen Manne sprach, mit dem er damals viel um¬
ſchien mir freundlich, die Gegend anmuthig und doch erſchrak ich nicht wenig uͤber den mir ge¬ drohten Aufenthalt. Warſt Du, guͤnſtiger Leſer! jemals genoͤthigt, in einer kleinen Stadt, wo Du niemanden — niemanden kannteſt, wo Du jedem fremd bliebſt, drei Tage zu verweilen, und hat nicht irgend ein tiefer Schmerz den Drang nach gemuͤthlicher Mittheilung in Dir weggezehrt, ſo wirſt Du mein Unbehagen mit mir fuͤhlen. In dem Wort geht ja erſt der Geiſt des Lebens auf in Allem um uns her; aber die Kleinſtaͤdter ſind wie ein in ſich ſelbſt veruͤbtes, abgeſchloſſenes Orcheſter eingeſpielt und eingeſungen, nur ihre eignen Stuͤcke gehen rein und richtig, jeder Ton des Fremden diſſonirt ihren Ohren und bringt ſie augenblicklich zum Schweigen. — Recht mißlau¬ nig ſchritt ich in meinem Zimmer auf und ab; da fiel mir ploͤtzlich ein, daß ein Freund in der Heimath, der ehemals ein paar Jahre hindurch in G. geweſen, oft von einem gelehrten geiſtrei¬ chen Manne ſprach, mit dem er damals viel um¬
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ſchien mir freundlich, die Gegend anmuthig und
doch erſchrak ich nicht wenig uͤber den mir ge¬
drohten Aufenthalt. Warſt Du, guͤnſtiger Leſer!
jemals genoͤthigt, in einer kleinen Stadt, wo Du
niemanden — niemanden kannteſt, wo Du jedem
fremd bliebſt, drei Tage zu verweilen, und hat
nicht irgend ein tiefer Schmerz den Drang nach
gemuͤthlicher Mittheilung in Dir weggezehrt, ſo
wirſt Du mein Unbehagen mit mir fuͤhlen. In
dem Wort geht ja erſt der Geiſt des Lebens auf
in Allem um uns her; aber die Kleinſtaͤdter ſind
wie ein in ſich ſelbſt veruͤbtes, abgeſchloſſenes
Orcheſter eingeſpielt und eingeſungen, nur ihre
eignen Stuͤcke gehen rein und richtig, jeder Ton
des Fremden diſſonirt ihren Ohren und bringt ſie
augenblicklich zum Schweigen. — Recht mißlau¬
nig ſchritt ich in meinem Zimmer auf und ab;
da fiel mir ploͤtzlich ein, daß ein Freund in der
Heimath, der ehemals ein paar Jahre hindurch
in G. geweſen, oft von einem gelehrten geiſtrei¬
chen Manne ſprach, mit dem er damals viel um¬
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/221>, abgerufen am 25.11.2024.
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