Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

mir nicht zu rathen und zu helfen, und ich steure
umher in meinen Versuchen, wie jener Doktor
im Gilblas di Santillana. "Nun, so sag' er
es denn nur geradezu heraus," rief der Kapell¬
meister erzürnt, "sag' er es heraus, ohne so ver¬
dammt wichtig zu thun mit der simplen Heiser¬
keit, die sich Bettina zugezogen, weil sie un¬
vorsichtiger Weise den Schawl nicht umwarf, als
sie die Kirche verließ -- das Leben wird es ihr
doch eben nicht kosten, der Kleinen." "Mit nich¬
ten," sprach der Doktor, indem er nochmahls
die Dose herausnahm, jetzt aber wirklich schnupfte,
"mit nichten, aber höchst wahrscheinlich wird sie
in ihrem ganzen Leben keine Note mehr singen!"
Da fuhr der Kapellmeister mit beiden Fäusten sich
in die Haare, daß der Puder weit umherstäubte
und rannte im Zimmer auf und ab, und schrie
wie besessen: "Nicht mehr singen? -- nicht mehr
singen? -- Bettina nicht mehr singen? --
Gestorben all' die herrlichen Canzonette --
die wunderbaren Bollero's und Seguidilla's, die

mir nicht zu rathen und zu helfen, und ich ſteure
umher in meinen Verſuchen, wie jener Doktor
im Gilblas di Santillana. „Nun, ſo ſag' er
es denn nur geradezu heraus,“ rief der Kapell¬
meiſter erzuͤrnt, „ſag' er es heraus, ohne ſo ver¬
dammt wichtig zu thun mit der ſimplen Heiſer¬
keit, die ſich Bettina zugezogen, weil ſie un¬
vorſichtiger Weiſe den Schawl nicht umwarf, als
ſie die Kirche verließ — das Leben wird es ihr
doch eben nicht koſten, der Kleinen.“ „Mit nich¬
ten,“ ſprach der Doktor, indem er nochmahls
die Doſe herausnahm, jetzt aber wirklich ſchnupfte,
„mit nichten, aber hoͤchſt wahrſcheinlich wird ſie
in ihrem ganzen Leben keine Note mehr ſingen!“
Da fuhr der Kapellmeiſter mit beiden Faͤuſten ſich
in die Haare, daß der Puder weit umherſtaͤubte
und rannte im Zimmer auf und ab, und ſchrie
wie beſeſſen: „Nicht mehr ſingen? — nicht mehr
ſingen? — Bettina nicht mehr ſingen? —
Geſtorben all' die herrlichen Canzonette —
die wunderbaren Bollero's und Seguidilla's, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0288" n="280"/>
mir nicht zu rathen und zu helfen, und ich &#x017F;teure<lb/>
umher in meinen Ver&#x017F;uchen, wie jener Doktor<lb/>
im Gilblas di Santillana. &#x201E;Nun, &#x017F;o &#x017F;ag' er<lb/>
es denn nur geradezu heraus,&#x201C; rief der Kapell¬<lb/>
mei&#x017F;ter erzu&#x0364;rnt, &#x201E;&#x017F;ag' er es heraus, ohne &#x017F;o ver¬<lb/>
dammt wichtig zu thun mit der &#x017F;implen Hei&#x017F;er¬<lb/>
keit, die &#x017F;ich <hi rendition="#g">Bettina</hi> zugezogen, weil &#x017F;ie un¬<lb/>
vor&#x017F;ichtiger Wei&#x017F;e den Schawl nicht umwarf, als<lb/>
&#x017F;ie die Kirche verließ &#x2014; das Leben wird es ihr<lb/>
doch eben nicht ko&#x017F;ten, der Kleinen.&#x201C; &#x201E;Mit nich¬<lb/>
ten,&#x201C; &#x017F;prach der Doktor, indem er nochmahls<lb/>
die Do&#x017F;e herausnahm, jetzt aber wirklich &#x017F;chnupfte,<lb/>
&#x201E;mit nichten, aber ho&#x0364;ch&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich wird &#x017F;ie<lb/>
in ihrem ganzen Leben keine Note mehr &#x017F;ingen!&#x201C;<lb/>
Da fuhr der Kapellmei&#x017F;ter mit beiden Fa&#x0364;u&#x017F;ten &#x017F;ich<lb/>
in die Haare, daß der Puder weit umher&#x017F;ta&#x0364;ubte<lb/>
und rannte im Zimmer auf und ab, und &#x017F;chrie<lb/>
wie be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en: &#x201E;Nicht mehr &#x017F;ingen? &#x2014; nicht mehr<lb/>
&#x017F;ingen? &#x2014; <hi rendition="#g">Bettina</hi> nicht mehr &#x017F;ingen? &#x2014;<lb/>
Ge&#x017F;torben all' die herrlichen Canzonette &#x2014;<lb/>
die wunderbaren Bollero's und Seguidilla's, die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0288] mir nicht zu rathen und zu helfen, und ich ſteure umher in meinen Verſuchen, wie jener Doktor im Gilblas di Santillana. „Nun, ſo ſag' er es denn nur geradezu heraus,“ rief der Kapell¬ meiſter erzuͤrnt, „ſag' er es heraus, ohne ſo ver¬ dammt wichtig zu thun mit der ſimplen Heiſer¬ keit, die ſich Bettina zugezogen, weil ſie un¬ vorſichtiger Weiſe den Schawl nicht umwarf, als ſie die Kirche verließ — das Leben wird es ihr doch eben nicht koſten, der Kleinen.“ „Mit nich¬ ten,“ ſprach der Doktor, indem er nochmahls die Doſe herausnahm, jetzt aber wirklich ſchnupfte, „mit nichten, aber hoͤchſt wahrſcheinlich wird ſie in ihrem ganzen Leben keine Note mehr ſingen!“ Da fuhr der Kapellmeiſter mit beiden Faͤuſten ſich in die Haare, daß der Puder weit umherſtaͤubte und rannte im Zimmer auf und ab, und ſchrie wie beſeſſen: „Nicht mehr ſingen? — nicht mehr ſingen? — Bettina nicht mehr ſingen? — Geſtorben all' die herrlichen Canzonette — die wunderbaren Bollero's und Seguidilla's, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/288
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/288>, abgerufen am 22.11.2024.