Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfun¬ den werden, als dasjenige ist, was sich mit mei¬ nem armen Freunde, dem jungen Studenten Na¬ thanael, zugetragen, und was ich Dir, günstiger Leser! zu erzählen unternommen. Hast Du, Ge¬ neigtester! wohl jemahls etwas erlebt, das Deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfüllte, Alles Andere daraus verdrängend? Es gährte und kochte in Dir, zur siedenden Gluth entzündet sprang das Blut durch die Adern und färbte höh¬ er Deine Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem andern Auge sicht¬ bar, im leeren Raum erfassen und die Rede zer¬ floß in dunkle Seufzer. Da frugen Dich die Freunde: Wie ist Ihnen, Verehrter? -- Was haben Sie, Theurer? Und nun wolltest Du das innere Gebilde mit allen glühenden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und mühtest Dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war Dir, als müßtest Du nun gleich im ersten Wort Alles Wunderbare, Herrliche, Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zuge¬
Seltſamer und wunderlicher kann nichts erfun¬ den werden, als dasjenige iſt, was ſich mit mei¬ nem armen Freunde, dem jungen Studenten Na¬ thanael, zugetragen, und was ich Dir, guͤnſtiger Leſer! zu erzaͤhlen unternommen. Haſt Du, Ge¬ neigteſter! wohl jemahls etwas erlebt, das Deine Bruſt, Sinn und Gedanken ganz und gar erfuͤllte, Alles Andere daraus verdraͤngend? Es gaͤhrte und kochte in Dir, zur ſiedenden Gluth entzuͤndet ſprang das Blut durch die Adern und faͤrbte hoͤh¬ er Deine Wangen. Dein Blick war ſo ſeltſam als wolle er Geſtalten, keinem andern Auge ſicht¬ bar, im leeren Raum erfaſſen und die Rede zer¬ floß in dunkle Seufzer. Da frugen Dich die Freunde: Wie iſt Ihnen, Verehrter? — Was haben Sie, Theurer? Und nun wollteſt Du das innere Gebilde mit allen gluͤhenden Farben und Schatten und Lichtern ausſprechen und muͤhteſt Dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war Dir, als muͤßteſt Du nun gleich im erſten Wort Alles Wunderbare, Herrliche, Entſetzliche, Luſtige, Grauenhafte, das ſich zuge¬
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Seltſamer und wunderlicher kann nichts erfun¬
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thanael, zugetragen, und was ich Dir, guͤnſtiger
Leſer! zu erzaͤhlen unternommen. Haſt Du, Ge¬
neigteſter! wohl jemahls etwas erlebt, das Deine
Bruſt, Sinn und Gedanken ganz und gar erfuͤllte,
Alles Andere daraus verdraͤngend? Es gaͤhrte und
kochte in Dir, zur ſiedenden Gluth entzuͤndet
ſprang das Blut durch die Adern und faͤrbte hoͤh¬
er Deine Wangen. Dein Blick war ſo ſeltſam
als wolle er Geſtalten, keinem andern Auge ſicht¬
bar, im leeren Raum erfaſſen und die Rede zer¬
floß in dunkle Seufzer. Da frugen Dich die
Freunde: Wie iſt Ihnen, Verehrter? — Was
haben Sie, Theurer? Und nun wollteſt Du das
innere Gebilde mit allen gluͤhenden Farben und
Schatten und Lichtern ausſprechen und muͤhteſt
Dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen.
Aber es war Dir, als muͤßteſt Du nun gleich
im erſten Wort Alles Wunderbare, Herrliche,
Entſetzliche, Luſtige, Grauenhafte, das ſich zuge¬
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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