Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

Labung herbeibringen." Unter diesen Worten wa¬
ren sie in die Stube getreten. Der Fremde legte
seine Reisemütze und seinen Mantel ab, unter
dem er ein Felleisen und ein Kistchen trug. Er
zog auch ein Stilet und ein Paar Terzerole her¬
vor, die er auf den Tisch legte. Andres war an
Giorgina's Bett getreten, sie lag in bewußt¬
losem Zustande. Der Fremde trat ebenfalls hin¬
zu, schaute die Kranke lange mit scharfen, bedäch¬
tigen Blicken an und ergriff ihre Hand, den
Puls sorglich erforschend. Als nun Andres
voll Verzweiflung ausrief: "Ach Gott, nun
stirbt sie wohl!" da sagte der Fremde: "Mit
nichten, lieber Freund! seid ganz ruhig. Euerm
Weibe fehlt nichts als kräftige, gute Nahrung,
und vor der Hand wird ihr ein Mittel, das
zugleich reizt und stärkt, die besten Dienste thun.
Ich bin zwar kein Arzt, sondern vielmehr ein
Kaufmann, allein doch in der Arzneiwissenschaft
nicht unerfahren, und besitze aus uralter Zeit her
manches Arcanum, welches ich mit mir führe

Labung herbeibringen.“ Unter dieſen Worten wa¬
ren ſie in die Stube getreten. Der Fremde legte
ſeine Reiſemuͤtze und ſeinen Mantel ab, unter
dem er ein Felleiſen und ein Kiſtchen trug. Er
zog auch ein Stilet und ein Paar Terzerole her¬
vor, die er auf den Tiſch legte. Andres war an
Giorgina's Bett getreten, ſie lag in bewußt¬
loſem Zuſtande. Der Fremde trat ebenfalls hin¬
zu, ſchaute die Kranke lange mit ſcharfen, bedaͤch¬
tigen Blicken an und ergriff ihre Hand, den
Puls ſorglich erforſchend. Als nun Andres
voll Verzweiflung ausrief: „Ach Gott, nun
ſtirbt ſie wohl!“ da ſagte der Fremde: „Mit
nichten, lieber Freund! ſeid ganz ruhig. Euerm
Weibe fehlt nichts als kraͤftige, gute Nahrung,
und vor der Hand wird ihr ein Mittel, das
zugleich reizt und ſtaͤrkt, die beſten Dienſte thun.
Ich bin zwar kein Arzt, ſondern vielmehr ein
Kaufmann, allein doch in der Arzneiwiſſenſchaft
nicht unerfahren, und beſitze aus uralter Zeit her
manches Arcanum, welches ich mit mir fuͤhre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0097" n="89"/>
Labung herbeibringen.&#x201C; Unter die&#x017F;en Worten wa¬<lb/>
ren &#x017F;ie in die Stube getreten. Der Fremde legte<lb/>
&#x017F;eine Rei&#x017F;emu&#x0364;tze und &#x017F;einen Mantel ab, unter<lb/>
dem er ein Fellei&#x017F;en und ein Ki&#x017F;tchen trug. Er<lb/>
zog auch ein Stilet und ein Paar Terzerole her¬<lb/>
vor, die er auf den Ti&#x017F;ch legte. <hi rendition="#g">Andres</hi> war an<lb/><hi rendition="#g">Giorgina's</hi> Bett getreten, &#x017F;ie lag in bewußt¬<lb/>
lo&#x017F;em Zu&#x017F;tande. Der Fremde trat ebenfalls hin¬<lb/>
zu, &#x017F;chaute die Kranke lange mit &#x017F;charfen, beda&#x0364;ch¬<lb/>
tigen Blicken an und ergriff ihre Hand, den<lb/>
Puls &#x017F;orglich erfor&#x017F;chend. Als nun <hi rendition="#g">Andres</hi><lb/>
voll Verzweiflung ausrief: &#x201E;Ach Gott, nun<lb/>
&#x017F;tirbt &#x017F;ie wohl!&#x201C; da &#x017F;agte der Fremde: &#x201E;Mit<lb/>
nichten, lieber Freund! &#x017F;eid ganz ruhig. Euerm<lb/>
Weibe fehlt nichts als kra&#x0364;ftige, gute Nahrung,<lb/>
und vor der Hand wird ihr ein Mittel, das<lb/>
zugleich reizt und &#x017F;ta&#x0364;rkt, die be&#x017F;ten Dien&#x017F;te thun.<lb/>
Ich bin zwar kein Arzt, &#x017F;ondern vielmehr ein<lb/>
Kaufmann, allein doch in der Arzneiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
nicht unerfahren, und be&#x017F;itze aus uralter Zeit her<lb/>
manches Arcanum, welches ich mit mir fu&#x0364;hre<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0097] Labung herbeibringen.“ Unter dieſen Worten wa¬ ren ſie in die Stube getreten. Der Fremde legte ſeine Reiſemuͤtze und ſeinen Mantel ab, unter dem er ein Felleiſen und ein Kiſtchen trug. Er zog auch ein Stilet und ein Paar Terzerole her¬ vor, die er auf den Tiſch legte. Andres war an Giorgina's Bett getreten, ſie lag in bewußt¬ loſem Zuſtande. Der Fremde trat ebenfalls hin¬ zu, ſchaute die Kranke lange mit ſcharfen, bedaͤch¬ tigen Blicken an und ergriff ihre Hand, den Puls ſorglich erforſchend. Als nun Andres voll Verzweiflung ausrief: „Ach Gott, nun ſtirbt ſie wohl!“ da ſagte der Fremde: „Mit nichten, lieber Freund! ſeid ganz ruhig. Euerm Weibe fehlt nichts als kraͤftige, gute Nahrung, und vor der Hand wird ihr ein Mittel, das zugleich reizt und ſtaͤrkt, die beſten Dienſte thun. Ich bin zwar kein Arzt, ſondern vielmehr ein Kaufmann, allein doch in der Arzneiwiſſenſchaft nicht unerfahren, und beſitze aus uralter Zeit her manches Arcanum, welches ich mit mir fuͤhre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/97
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/97>, abgerufen am 18.05.2024.