stadt. An einem stillen lauen Abende saßen wir in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬ gewöhnlich heiter, und dabei nicht, wie sonst, voll sarkastischer Ironie, sondern mild, beinahe weich gestimmt. "Vetter," fing er an, "ich weiß nicht, wie mir heute ist, ein ganz besonderes Wohlseyn, wie ich es seit vielen Jahren nicht gefühlt, durch¬ dringt mich mit gleichsam elektrischer Wärme. Ich glaube, das verkündet mir einen baldigen Tod." Ich mühte mich, ihn von dem düstern Gedanken abzubringen. "Laß es gut seyn, Vetter," sprach er, "lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und da will ich dir noch eine Schuld abtragen! -- Denkst du noch an die Herbstzeit in R -- sitten?" -- Wie ein Blitz durchfuhr mich diese Frage des Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr er weiter fort: "Der Himmel wollte es, daß du dort auf ganz eigne Weise eintratst, und wider deinen Willen eingeflochten wurdest in die tiefsten Geheimnisse des Hauses. Jetzt ist es an der Zeit, daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter!
ſtadt. An einem ſtillen lauen Abende ſaßen wir in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬ gewoͤhnlich heiter, und dabei nicht, wie ſonſt, voll ſarkaſtiſcher Ironie, ſondern mild, beinahe weich geſtimmt. „Vetter,“ fing er an, „ich weiß nicht, wie mir heute iſt, ein ganz beſonderes Wohlſeyn, wie ich es ſeit vielen Jahren nicht gefuͤhlt, durch¬ dringt mich mit gleichſam elektriſcher Waͤrme. Ich glaube, das verkuͤndet mir einen baldigen Tod.“ Ich muͤhte mich, ihn von dem duͤſtern Gedanken abzubringen. „Laß es gut ſeyn, Vetter,“ ſprach er, „lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und da will ich dir noch eine Schuld abtragen! — Denkſt du noch an die Herbſtzeit in R — ſitten?“ — Wie ein Blitz durchfuhr mich dieſe Frage des Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr er weiter fort: „Der Himmel wollte es, daß du dort auf ganz eigne Weiſe eintratſt, und wider deinen Willen eingeflochten wurdeſt in die tiefſten Geheimniſſe des Hauſes. Jetzt iſt es an der Zeit, daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter!
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0180"n="172"/>ſtadt. An einem ſtillen lauen Abende ſaßen wir<lb/>
in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬<lb/>
gewoͤhnlich heiter, und dabei nicht, wie ſonſt, voll<lb/>ſarkaſtiſcher Ironie, ſondern mild, beinahe weich<lb/>
geſtimmt. „Vetter,“ fing er an, „ich weiß nicht,<lb/>
wie mir heute iſt, ein ganz beſonderes Wohlſeyn,<lb/>
wie ich es ſeit vielen Jahren nicht gefuͤhlt, durch¬<lb/>
dringt mich mit gleichſam elektriſcher Waͤrme. Ich<lb/>
glaube, das verkuͤndet mir einen baldigen Tod.“<lb/>
Ich muͤhte mich, ihn von dem duͤſtern Gedanken<lb/>
abzubringen. „Laß es gut ſeyn, Vetter,“ſprach<lb/>
er, „lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und<lb/>
da will ich dir noch eine Schuld abtragen! —<lb/>
Denkſt du noch an die Herbſtzeit in R —ſitten?“<lb/>— Wie ein Blitz durchfuhr mich dieſe Frage des<lb/>
Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr<lb/>
er weiter fort: „Der Himmel wollte es, daß du<lb/>
dort auf ganz eigne Weiſe eintratſt, und wider<lb/>
deinen Willen eingeflochten wurdeſt in die tiefſten<lb/>
Geheimniſſe des Hauſes. Jetzt iſt es an der Zeit,<lb/>
daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter!<lb/></p></div></body></text></TEI>
[172/0180]
ſtadt. An einem ſtillen lauen Abende ſaßen wir
in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬
gewoͤhnlich heiter, und dabei nicht, wie ſonſt, voll
ſarkaſtiſcher Ironie, ſondern mild, beinahe weich
geſtimmt. „Vetter,“ fing er an, „ich weiß nicht,
wie mir heute iſt, ein ganz beſonderes Wohlſeyn,
wie ich es ſeit vielen Jahren nicht gefuͤhlt, durch¬
dringt mich mit gleichſam elektriſcher Waͤrme. Ich
glaube, das verkuͤndet mir einen baldigen Tod.“
Ich muͤhte mich, ihn von dem duͤſtern Gedanken
abzubringen. „Laß es gut ſeyn, Vetter,“ ſprach
er, „lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und
da will ich dir noch eine Schuld abtragen! —
Denkſt du noch an die Herbſtzeit in R — ſitten?“
— Wie ein Blitz durchfuhr mich dieſe Frage des
Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr
er weiter fort: „Der Himmel wollte es, daß du
dort auf ganz eigne Weiſe eintratſt, und wider
deinen Willen eingeflochten wurdeſt in die tiefſten
Geheimniſſe des Hauſes. Jetzt iſt es an der Zeit,
daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/180>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.