Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

stadt. An einem stillen lauen Abende saßen wir
in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬
gewöhnlich heiter, und dabei nicht, wie sonst, voll
sarkastischer Ironie, sondern mild, beinahe weich
gestimmt. "Vetter," fing er an, "ich weiß nicht,
wie mir heute ist, ein ganz besonderes Wohlseyn,
wie ich es seit vielen Jahren nicht gefühlt, durch¬
dringt mich mit gleichsam elektrischer Wärme. Ich
glaube, das verkündet mir einen baldigen Tod."
Ich mühte mich, ihn von dem düstern Gedanken
abzubringen. "Laß es gut seyn, Vetter," sprach
er, "lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und
da will ich dir noch eine Schuld abtragen! --
Denkst du noch an die Herbstzeit in R -- sitten?"
-- Wie ein Blitz durchfuhr mich diese Frage des
Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr
er weiter fort: "Der Himmel wollte es, daß du
dort auf ganz eigne Weise eintratst, und wider
deinen Willen eingeflochten wurdest in die tiefsten
Geheimnisse des Hauses. Jetzt ist es an der Zeit,
daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter!

ſtadt. An einem ſtillen lauen Abende ſaßen wir
in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬
gewoͤhnlich heiter, und dabei nicht, wie ſonſt, voll
ſarkaſtiſcher Ironie, ſondern mild, beinahe weich
geſtimmt. „Vetter,“ fing er an, „ich weiß nicht,
wie mir heute iſt, ein ganz beſonderes Wohlſeyn,
wie ich es ſeit vielen Jahren nicht gefuͤhlt, durch¬
dringt mich mit gleichſam elektriſcher Waͤrme. Ich
glaube, das verkuͤndet mir einen baldigen Tod.“
Ich muͤhte mich, ihn von dem duͤſtern Gedanken
abzubringen. „Laß es gut ſeyn, Vetter,“ ſprach
er, „lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und
da will ich dir noch eine Schuld abtragen! —
Denkſt du noch an die Herbſtzeit in R — ſitten?“
— Wie ein Blitz durchfuhr mich dieſe Frage des
Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr
er weiter fort: „Der Himmel wollte es, daß du
dort auf ganz eigne Weiſe eintratſt, und wider
deinen Willen eingeflochten wurdeſt in die tiefſten
Geheimniſſe des Hauſes. Jetzt iſt es an der Zeit,
daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0180" n="172"/>
&#x017F;tadt. An einem &#x017F;tillen lauen Abende &#x017F;aßen wir<lb/>
in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬<lb/>
gewo&#x0364;hnlich heiter, und dabei nicht, wie &#x017F;on&#x017F;t, voll<lb/>
&#x017F;arka&#x017F;ti&#x017F;cher Ironie, &#x017F;ondern mild, beinahe weich<lb/>
ge&#x017F;timmt. &#x201E;Vetter,&#x201C; fing er an, &#x201E;ich weiß nicht,<lb/>
wie mir heute i&#x017F;t, ein ganz be&#x017F;onderes Wohl&#x017F;eyn,<lb/>
wie ich es &#x017F;eit vielen Jahren nicht gefu&#x0364;hlt, durch¬<lb/>
dringt mich mit gleich&#x017F;am elektri&#x017F;cher Wa&#x0364;rme. Ich<lb/>
glaube, das verku&#x0364;ndet mir einen baldigen Tod.&#x201C;<lb/>
Ich mu&#x0364;hte mich, ihn von dem du&#x0364;&#x017F;tern Gedanken<lb/>
abzubringen. &#x201E;Laß es gut &#x017F;eyn, Vetter,&#x201C; &#x017F;prach<lb/>
er, &#x201E;lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und<lb/>
da will ich dir noch eine Schuld abtragen! &#x2014;<lb/>
Denk&#x017F;t du noch an die Herb&#x017F;tzeit in R &#x2014; &#x017F;itten?&#x201C;<lb/>
&#x2014; Wie ein Blitz durchfuhr mich die&#x017F;e Frage des<lb/>
Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr<lb/>
er weiter fort: &#x201E;Der Himmel wollte es, daß du<lb/>
dort auf ganz eigne Wei&#x017F;e eintrat&#x017F;t, und wider<lb/>
deinen Willen eingeflochten wurde&#x017F;t in die tief&#x017F;ten<lb/>
Geheimni&#x017F;&#x017F;e des Hau&#x017F;es. Jetzt i&#x017F;t es an der Zeit,<lb/>
daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter!<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0180] ſtadt. An einem ſtillen lauen Abende ſaßen wir in der duftenden Jasminlaube, der Alte war un¬ gewoͤhnlich heiter, und dabei nicht, wie ſonſt, voll ſarkaſtiſcher Ironie, ſondern mild, beinahe weich geſtimmt. „Vetter,“ fing er an, „ich weiß nicht, wie mir heute iſt, ein ganz beſonderes Wohlſeyn, wie ich es ſeit vielen Jahren nicht gefuͤhlt, durch¬ dringt mich mit gleichſam elektriſcher Waͤrme. Ich glaube, das verkuͤndet mir einen baldigen Tod.“ Ich muͤhte mich, ihn von dem duͤſtern Gedanken abzubringen. „Laß es gut ſeyn, Vetter,“ ſprach er, „lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und da will ich dir noch eine Schuld abtragen! — Denkſt du noch an die Herbſtzeit in R — ſitten?“ — Wie ein Blitz durchfuhr mich dieſe Frage des Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr er weiter fort: „Der Himmel wollte es, daß du dort auf ganz eigne Weiſe eintratſt, und wider deinen Willen eingeflochten wurdeſt in die tiefſten Geheimniſſe des Hauſes. Jetzt iſt es an der Zeit, daß du alles erfahren mußt. Oft genug, Vetter!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/180
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/180>, abgerufen am 21.11.2024.