Alle Furien der Verzweiflung im Antlitz stürzte Hubert herbei, als die Leiche eben hinaufgeborgen, und in dem Saal, gerade an der Stelle auf einen breiten Tisch gelegt worden, wo vor wenigen Wochen der alte Roderich lag. Niedergeschmettert von dem gräßlichen Anblick heulte er: "Bruder -- o mein armer Bruder -- nein, das hab' ich nicht erfleht von den Teufeln, die über mir waren!" -- V. er¬ bebte vor dieser verfänglichen Rede, es war ihm so, als müsse er zufahren auf Hubert, als den Mörder seines Bruders -- Hubert lag von Sinnen auf dem Fußboden, man brachte ihn ins Bette, und er er¬ holte sich, nachdem er stärkende Mittel gebraucht, ziemlich bald. Sehr bleich, düstern Gram im halb erloschnen Auge, trat er dann bei V. ins Zimmer, und sprach, indem er vor Mattigkeit, nicht fähig zu stehen, sich langsam in einen Lehnstuhl niederließ: "Ich habe meines Bruders Tod gewünscht, weil der Vater ihm den besten Theil des Erbes zugewandt durch eine thörigte Stiftung -- jetzt hat er seinen Tod gefunden auf schreckliche Weise -- ich bin Ma¬
Alle Furien der Verzweiflung im Antlitz ſtuͤrzte Hubert herbei, als die Leiche eben hinaufgeborgen, und in dem Saal, gerade an der Stelle auf einen breiten Tiſch gelegt worden, wo vor wenigen Wochen der alte Roderich lag. Niedergeſchmettert von dem graͤßlichen Anblick heulte er: „Bruder — o mein armer Bruder — nein, das hab' ich nicht erfleht von den Teufeln, die uͤber mir waren!“ — V. er¬ bebte vor dieſer verfaͤnglichen Rede, es war ihm ſo, als muͤſſe er zufahren auf Hubert, als den Moͤrder ſeines Bruders — Hubert lag von Sinnen auf dem Fußboden, man brachte ihn ins Bette, und er er¬ holte ſich, nachdem er ſtaͤrkende Mittel gebraucht, ziemlich bald. Sehr bleich, duͤſtern Gram im halb erloſchnen Auge, trat er dann bei V. ins Zimmer, und ſprach, indem er vor Mattigkeit, nicht faͤhig zu ſtehen, ſich langſam in einen Lehnſtuhl niederließ: „Ich habe meines Bruders Tod gewuͤnſcht, weil der Vater ihm den beſten Theil des Erbes zugewandt durch eine thoͤrigte Stiftung — jetzt hat er ſeinen Tod gefunden auf ſchreckliche Weiſe — ich bin Ma¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0215"n="207"/><p>Alle Furien der Verzweiflung im Antlitz ſtuͤrzte<lb/>
Hubert herbei, als die Leiche eben hinaufgeborgen,<lb/>
und in dem Saal, gerade an der Stelle auf einen<lb/>
breiten Tiſch gelegt worden, wo vor wenigen Wochen<lb/>
der alte Roderich lag. Niedergeſchmettert von dem<lb/>
graͤßlichen Anblick heulte er: „Bruder — o mein<lb/>
armer Bruder — nein, das hab' ich nicht erfleht<lb/>
von den Teufeln, die uͤber mir waren!“— V. er¬<lb/>
bebte vor dieſer verfaͤnglichen Rede, es war ihm ſo,<lb/>
als muͤſſe er zufahren auf Hubert, als den Moͤrder<lb/>ſeines Bruders — Hubert lag von Sinnen auf dem<lb/>
Fußboden, man brachte ihn ins Bette, und er er¬<lb/>
holte ſich, nachdem er ſtaͤrkende Mittel gebraucht,<lb/>
ziemlich bald. Sehr bleich, duͤſtern Gram im halb<lb/>
erloſchnen Auge, trat er dann bei V. ins Zimmer,<lb/>
und ſprach, indem er vor Mattigkeit, nicht faͤhig zu<lb/>ſtehen, ſich langſam in einen Lehnſtuhl niederließ:<lb/>„Ich habe meines Bruders Tod gewuͤnſcht, weil der<lb/>
Vater ihm den beſten Theil des Erbes zugewandt<lb/>
durch eine thoͤrigte Stiftung — jetzt hat er ſeinen<lb/>
Tod gefunden auf ſchreckliche Weiſe — ich bin Ma¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[207/0215]
Alle Furien der Verzweiflung im Antlitz ſtuͤrzte
Hubert herbei, als die Leiche eben hinaufgeborgen,
und in dem Saal, gerade an der Stelle auf einen
breiten Tiſch gelegt worden, wo vor wenigen Wochen
der alte Roderich lag. Niedergeſchmettert von dem
graͤßlichen Anblick heulte er: „Bruder — o mein
armer Bruder — nein, das hab' ich nicht erfleht
von den Teufeln, die uͤber mir waren!“ — V. er¬
bebte vor dieſer verfaͤnglichen Rede, es war ihm ſo,
als muͤſſe er zufahren auf Hubert, als den Moͤrder
ſeines Bruders — Hubert lag von Sinnen auf dem
Fußboden, man brachte ihn ins Bette, und er er¬
holte ſich, nachdem er ſtaͤrkende Mittel gebraucht,
ziemlich bald. Sehr bleich, duͤſtern Gram im halb
erloſchnen Auge, trat er dann bei V. ins Zimmer,
und ſprach, indem er vor Mattigkeit, nicht faͤhig zu
ſtehen, ſich langſam in einen Lehnſtuhl niederließ:
„Ich habe meines Bruders Tod gewuͤnſcht, weil der
Vater ihm den beſten Theil des Erbes zugewandt
durch eine thoͤrigte Stiftung — jetzt hat er ſeinen
Tod gefunden auf ſchreckliche Weiſe — ich bin Ma¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/215>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.