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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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gestern mit dir, habe ich schon erlebt. Ich hatte
einen Freund, der stellte, so wie du, trat der Voll¬
mond ein, regelmäßig nächtliche Wanderungen an.
Ja, manchmal setzte er sich hin und schrieb Briefe:
Am merkwürdigsten war es aber, daß, fing ich
an ihm ganz leise in's Ohr zu flüstern, es mir
bald gelang ihn zum Sprechen zu bringen. Er
antwortete gehörig auf alle Fragen und selbst das,
was er im Wachen sorglich verschwiegen haben
würde, floß nun unwillkührlich, als könne er der
Kraft nicht widerstehen, die auf ihn einwirkte,
von seinen Lippen. -- Der Teufel! ich glaube,
verschwiege ein Mondsüchtiger irgend eine began¬
gene Unthat noch so lange, man könnte sie ihm
abfragen in dem seltsamen Zustande. -- Wohl
dem, der ein reines Gewissen hat, wie wir beide,
guter Daniel, wir können schon immer Nacht¬
wandler seyn, uns wird man kein Verbrechen
abfragen. -- Aber höre Daniel, gewiß willst du
herauf in den astronomischen Thurm, wenn du
so abscheulich an der zugemauerten Thüre krat¬

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geſtern mit dir, habe ich ſchon erlebt. Ich hatte
einen Freund, der ſtellte, ſo wie du, trat der Voll¬
mond ein, regelmaͤßig naͤchtliche Wanderungen an.
Ja, manchmal ſetzte er ſich hin und ſchrieb Briefe:
Am merkwuͤrdigſten war es aber, daß, fing ich
an ihm ganz leiſe in's Ohr zu fluͤſtern, es mir
bald gelang ihn zum Sprechen zu bringen. Er
antwortete gehoͤrig auf alle Fragen und ſelbſt das,
was er im Wachen ſorglich verſchwiegen haben
wuͤrde, floß nun unwillkuͤhrlich, als koͤnne er der
Kraft nicht widerſtehen, die auf ihn einwirkte,
von ſeinen Lippen. — Der Teufel! ich glaube,
verſchwiege ein Mondſuͤchtiger irgend eine began¬
gene Unthat noch ſo lange, man koͤnnte ſie ihm
abfragen in dem ſeltſamen Zuſtande. — Wohl
dem, der ein reines Gewiſſen hat, wie wir beide,
guter Daniel, wir koͤnnen ſchon immer Nacht¬
wandler ſeyn, uns wird man kein Verbrechen
abfragen. — Aber hoͤre Daniel, gewiß willſt du
herauf in den aſtronomiſchen Thurm, wenn du
ſo abſcheulich an der zugemauerten Thuͤre krat¬

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[227/0235] geſtern mit dir, habe ich ſchon erlebt. Ich hatte einen Freund, der ſtellte, ſo wie du, trat der Voll¬ mond ein, regelmaͤßig naͤchtliche Wanderungen an. Ja, manchmal ſetzte er ſich hin und ſchrieb Briefe: Am merkwuͤrdigſten war es aber, daß, fing ich an ihm ganz leiſe in's Ohr zu fluͤſtern, es mir bald gelang ihn zum Sprechen zu bringen. Er antwortete gehoͤrig auf alle Fragen und ſelbſt das, was er im Wachen ſorglich verſchwiegen haben wuͤrde, floß nun unwillkuͤhrlich, als koͤnne er der Kraft nicht widerſtehen, die auf ihn einwirkte, von ſeinen Lippen. — Der Teufel! ich glaube, verſchwiege ein Mondſuͤchtiger irgend eine began¬ gene Unthat noch ſo lange, man koͤnnte ſie ihm abfragen in dem ſeltſamen Zuſtande. — Wohl dem, der ein reines Gewiſſen hat, wie wir beide, guter Daniel, wir koͤnnen ſchon immer Nacht¬ wandler ſeyn, uns wird man kein Verbrechen abfragen. — Aber hoͤre Daniel, gewiß willſt du herauf in den aſtronomiſchen Thurm, wenn du ſo abſcheulich an der zugemauerten Thuͤre krat¬ P 2

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/235>, abgerufen am 23.11.2024.