men nannte, sprang in hellem Leben das Bild jener verhängnißvollen Herbsttage hervor, die ich dort verlebte. Ich sah den Baron -- Seraphinen, aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich selbst mit blankem Milchgesicht, schön frisirt und gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet -- ja mich den Verliebten, der wie ein Ofen seufzt, mit Jammerlied auf seiner Liebsten Braue! -- In der tiefen Wehmuth, die mich durchbebte, flackerten wie bunte Lichterchen V..s derbe Späße auf, die mir nun ergötzlicher waren als damals. So von Schmerz und wunderbarer Lust bewegt, stieg ich am frühen Morgen in R..sitten aus dem Wagen, der vor der Postexpedition hielt. Ich erkannte das Haus des Oekonomieinspektors, ich frug nach ihm. "Mit Verlaub," sprach der Postschreiber, indem er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der Nachtmütze rückte, "mit Verlaub, hier ist kein Oekonomieinspektor, es ist ein königliches Amt und der Herr Amtsrath belieben noch zu schlafen." Auf weiteres Fragen erfuhr ich, daß schon vor sechszehn
men nannte, ſprang in hellem Leben das Bild jener verhaͤngnißvollen Herbſttage hervor, die ich dort verlebte. Ich ſah den Baron — Seraphinen, aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich ſelbſt mit blankem Milchgeſicht, ſchoͤn friſirt und gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet — ja mich den Verliebten, der wie ein Ofen ſeufzt, mit Jammerlied auf ſeiner Liebſten Braue! — In der tiefen Wehmuth, die mich durchbebte, flackerten wie bunte Lichterchen V..s derbe Spaͤße auf, die mir nun ergoͤtzlicher waren als damals. So von Schmerz und wunderbarer Luſt bewegt, ſtieg ich am fruͤhen Morgen in R..ſitten aus dem Wagen, der vor der Poſtexpedition hielt. Ich erkannte das Haus des Oekonomieinſpektors, ich frug nach ihm. „Mit Verlaub,“ ſprach der Poſtſchreiber, indem er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der Nachtmuͤtze ruͤckte, „mit Verlaub, hier iſt kein Oekonomieinſpektor, es iſt ein koͤnigliches Amt und der Herr Amtsrath belieben noch zu ſchlafen.“ Auf weiteres Fragen erfuhr ich, daß ſchon vor ſechszehn
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0260"n="252"/>
men nannte, ſprang in hellem Leben das Bild jener<lb/>
verhaͤngnißvollen Herbſttage hervor, die ich dort<lb/>
verlebte. Ich ſah den Baron — Seraphinen,<lb/>
aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich<lb/>ſelbſt mit blankem Milchgeſicht, ſchoͤn friſirt und<lb/>
gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet — ja<lb/>
mich den Verliebten, der wie ein Ofen ſeufzt, mit<lb/>
Jammerlied auf ſeiner Liebſten Braue! — In der<lb/>
tiefen Wehmuth, die mich durchbebte, flackerten<lb/>
wie bunte Lichterchen V..s derbe Spaͤße auf, die<lb/>
mir nun ergoͤtzlicher waren als damals. So von<lb/>
Schmerz und wunderbarer Luſt bewegt, ſtieg ich am<lb/>
fruͤhen Morgen in R..ſitten aus dem Wagen,<lb/>
der vor der Poſtexpedition hielt. Ich erkannte das<lb/>
Haus des Oekonomieinſpektors, ich frug nach ihm.<lb/>„Mit Verlaub,“ſprach der Poſtſchreiber, indem<lb/>
er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der<lb/>
Nachtmuͤtze ruͤckte, „mit Verlaub, hier iſt kein<lb/>
Oekonomieinſpektor, es iſt ein koͤnigliches Amt und<lb/>
der Herr Amtsrath belieben noch zu ſchlafen.“ Auf<lb/>
weiteres Fragen erfuhr ich, daß ſchon vor ſechszehn<lb/></p></div></body></text></TEI>
[252/0260]
men nannte, ſprang in hellem Leben das Bild jener
verhaͤngnißvollen Herbſttage hervor, die ich dort
verlebte. Ich ſah den Baron — Seraphinen,
aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich
ſelbſt mit blankem Milchgeſicht, ſchoͤn friſirt und
gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet — ja
mich den Verliebten, der wie ein Ofen ſeufzt, mit
Jammerlied auf ſeiner Liebſten Braue! — In der
tiefen Wehmuth, die mich durchbebte, flackerten
wie bunte Lichterchen V..s derbe Spaͤße auf, die
mir nun ergoͤtzlicher waren als damals. So von
Schmerz und wunderbarer Luſt bewegt, ſtieg ich am
fruͤhen Morgen in R..ſitten aus dem Wagen,
der vor der Poſtexpedition hielt. Ich erkannte das
Haus des Oekonomieinſpektors, ich frug nach ihm.
„Mit Verlaub,“ ſprach der Poſtſchreiber, indem
er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der
Nachtmuͤtze ruͤckte, „mit Verlaub, hier iſt kein
Oekonomieinſpektor, es iſt ein koͤnigliches Amt und
der Herr Amtsrath belieben noch zu ſchlafen.“ Auf
weiteres Fragen erfuhr ich, daß ſchon vor ſechszehn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/260>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.