zuweilen etwas von Träumereien und Visionen fal¬ len, so lächelte Hermenegilda schmerzlich, dann drück¬ te sie aber den goldnen Ring, den sie am Finger trug, an den Mund und benetzte ihn mit heißen Thränen. Graf Nepomuk bemerkte mit Erstaunen, daß dieser Ring wirklich ein ganz fremder war, den er nie bei seiner Tochter gesehen, da es indessen tausend Fälle gab, wie sie dazu gekommen seyn konnte, so gab er sich nicht einmahl die Mühe weiter nachzuforschen. Wichtiger war ihm die böse Nachricht, daß Graf Stanislaus in feindliche Gefangenschaft gerathen sey. Hermenegilda fing an auf eigne Weise zu kränkeln, sie klagte oft über eine seltsame Empfin¬ dung, die sie eben nicht Krankheit nennen könne, die aber ihr ganzes Wesen auf seltsame Art durchbebe. Um diese Zeit kam Fürst Z. mit seiner Gemahlin. Die Fürstin hatte, als Hermenegildas Mutter früh¬ zeitig starb, ihre Stelle vertreten und schon deshalb wurde sie von ihr mit kindlicher Hingebung empfan¬ gen. Hermenegilda erschloß der würdigen Frau ihr ganzes Herz und klagte mit der bittersten Wehmuth,
zuweilen etwas von Traͤumereien und Viſionen fal¬ len, ſo laͤchelte Hermenegilda ſchmerzlich, dann druͤck¬ te ſie aber den goldnen Ring, den ſie am Finger trug, an den Mund und benetzte ihn mit heißen Thraͤnen. Graf Nepomuk bemerkte mit Erſtaunen, daß dieſer Ring wirklich ein ganz fremder war, den er nie bei ſeiner Tochter geſehen, da es indeſſen tauſend Faͤlle gab, wie ſie dazu gekommen ſeyn konnte, ſo gab er ſich nicht einmahl die Muͤhe weiter nachzuforſchen. Wichtiger war ihm die boͤſe Nachricht, daß Graf Stanislaus in feindliche Gefangenſchaft gerathen ſey. Hermenegilda fing an auf eigne Weiſe zu kraͤnkeln, ſie klagte oft uͤber eine ſeltſame Empfin¬ dung, die ſie eben nicht Krankheit nennen koͤnne, die aber ihr ganzes Weſen auf ſeltſame Art durchbebe. Um dieſe Zeit kam Fuͤrſt Z. mit ſeiner Gemahlin. Die Fuͤrſtin hatte, als Hermenegildas Mutter fruͤh¬ zeitig ſtarb, ihre Stelle vertreten und ſchon deshalb wurde ſie von ihr mit kindlicher Hingebung empfan¬ gen. Hermenegilda erſchloß der wuͤrdigen Frau ihr ganzes Herz und klagte mit der bitterſten Wehmuth,
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zuweilen etwas von Traͤumereien und Viſionen fal¬
len, ſo laͤchelte Hermenegilda ſchmerzlich, dann druͤck¬
te ſie aber den goldnen Ring, den ſie am Finger trug,
an den Mund und benetzte ihn mit heißen Thraͤnen.
Graf Nepomuk bemerkte mit Erſtaunen, daß dieſer
Ring wirklich ein ganz fremder war, den er nie bei
ſeiner Tochter geſehen, da es indeſſen tauſend Faͤlle
gab, wie ſie dazu gekommen ſeyn konnte, ſo gab er
ſich nicht einmahl die Muͤhe weiter nachzuforſchen.
Wichtiger war ihm die boͤſe Nachricht, daß Graf
Stanislaus in feindliche Gefangenſchaft gerathen
ſey. Hermenegilda fing an auf eigne Weiſe zu
kraͤnkeln, ſie klagte oft uͤber eine ſeltſame Empfin¬
dung, die ſie eben nicht Krankheit nennen koͤnne, die
aber ihr ganzes Weſen auf ſeltſame Art durchbebe.
Um dieſe Zeit kam Fuͤrſt Z. mit ſeiner Gemahlin.
Die Fuͤrſtin hatte, als Hermenegildas Mutter fruͤh¬
zeitig ſtarb, ihre Stelle vertreten und ſchon deshalb
wurde ſie von ihr mit kindlicher Hingebung empfan¬
gen. Hermenegilda erſchloß der wuͤrdigen Frau ihr
ganzes Herz und klagte mit der bitterſten Wehmuth,
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/308>, abgerufen am 24.11.2024.
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