"Amenez vos troupeaux bergeres!" -- "Solltest du wohl glauben," sprach Wilibald, "daß dies putzige Figurchen, die so überaus naiv und schar¬ mant thut, Juliens ältere Schwester ist? Du merkst, daß sie leider zu den Weibern gehört, die die Natur mit recht bittrer Ironie mystifizirt, in¬ dem sie trotz alles Sträubens zu ewiger Kindheit verdammt, vermöge ihrer Figur und ihres ganzen Wesens im Alter noch mit jener kindischen Naivität koquettirend sich und andern herzlich zur Last werden müssen, wobei es denn oft an gehöriger Verhöh¬ nung nicht mangelt." -- Beiden Freunden wurde das Dämchen mit ihrer französischen Faselei recht fatal, sie schlichen daher fort wie sie gekommen und schlossen sich lieber an den türkischen Gesandten an, der sie fortführte in den Saal, wo eben, da die Sonne schon niedersank, alles zu der Musik vorbe¬ reitet wurde, die man heute zu geben im Sinne hatte. Der Oesterleinische Flügel wurde geöffnet und jedes Pult für die Künstler an seinen Ort ge¬ stellt. Die Gesellschaft sammelte sich nach und nach, Erfrischungen wurden herumgereicht in altem
„Amenez vos troupeaux bergeres!“ — „Sollteſt du wohl glauben,“ ſprach Wilibald, „daß dies putzige Figurchen, die ſo uͤberaus naiv und ſchar¬ mant thut, Juliens aͤltere Schweſter iſt? Du merkſt, daß ſie leider zu den Weibern gehoͤrt, die die Natur mit recht bittrer Ironie myſtifizirt, in¬ dem ſie trotz alles Straͤubens zu ewiger Kindheit verdammt, vermoͤge ihrer Figur und ihres ganzen Weſens im Alter noch mit jener kindiſchen Naivitaͤt koquettirend ſich und andern herzlich zur Laſt werden muͤſſen, wobei es denn oft an gehoͤriger Verhoͤh¬ nung nicht mangelt.“ — Beiden Freunden wurde das Daͤmchen mit ihrer franzoͤſiſchen Faſelei recht fatal, ſie ſchlichen daher fort wie ſie gekommen und ſchloſſen ſich lieber an den tuͤrkiſchen Geſandten an, der ſie fortfuͤhrte in den Saal, wo eben, da die Sonne ſchon niederſank, alles zu der Muſik vorbe¬ reitet wurde, die man heute zu geben im Sinne hatte. Der Oeſterleiniſche Fluͤgel wurde geoͤffnet und jedes Pult fuͤr die Kuͤnſtler an ſeinen Ort ge¬ ſtellt. Die Geſellſchaft ſammelte ſich nach und nach, Erfriſchungen wurden herumgereicht in altem
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„Amenez vos troupeaux bergeres!“ — „Sollteſt
du wohl glauben,“ ſprach Wilibald, „daß dies
putzige Figurchen, die ſo uͤberaus naiv und ſchar¬
mant thut, Juliens aͤltere Schweſter iſt? Du
merkſt, daß ſie leider zu den Weibern gehoͤrt, die
die Natur mit recht bittrer Ironie myſtifizirt, in¬
dem ſie trotz alles Straͤubens zu ewiger Kindheit
verdammt, vermoͤge ihrer Figur und ihres ganzen
Weſens im Alter noch mit jener kindiſchen Naivitaͤt
koquettirend ſich und andern herzlich zur Laſt werden
muͤſſen, wobei es denn oft an gehoͤriger Verhoͤh¬
nung nicht mangelt.“ — Beiden Freunden wurde
das Daͤmchen mit ihrer franzoͤſiſchen Faſelei recht
fatal, ſie ſchlichen daher fort wie ſie gekommen und
ſchloſſen ſich lieber an den tuͤrkiſchen Geſandten an,
der ſie fortfuͤhrte in den Saal, wo eben, da die
Sonne ſchon niederſank, alles zu der Muſik vorbe¬
reitet wurde, die man heute zu geben im Sinne
hatte. Der Oeſterleiniſche Fluͤgel wurde geoͤffnet
und jedes Pult fuͤr die Kuͤnſtler an ſeinen Ort ge¬
ſtellt. Die Geſellſchaft ſammelte ſich nach und
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/356>, abgerufen am 23.11.2024.
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