Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

betroffen über die wunderbare Schönheit des Engelskinds. Er hob das Mädchen sanft auf, dann machte er eine Bewegung, als wolle er ihre Hand, die er gefaßt, küssen. Er ließ sie wieder und schaute das holde Kind an mit thränenfeuchtem Blick, der von der tiefsten innern Rührung zeugte. Leise lispelte die Maintenon der Scudery zu: Sieht sie nicht der la Balliere ähnlich auf ein Haar, das kleine Ding? Der König schwelgt in den süßesten Erinnerungen. Euer Spiel ist gewonnen. -- So leise dies auch die Maintenon sprach, doch schien es der König vernommen zu haben. Eine Röthe überflog sein Gesicht, sein Blick streifte bei der Maintenon vorüber, er las die Supplik, die Madelon ihm überreichte, und sprach dann mild und gütig: Ich will's wohl glauben, daß du, mein liebes Kind von deines Geliebten Unschuld überzeugt bist, aber hören wir, was die Chambre ardente dazu sagt! -- Eine sanfte Bewegung mit der Hand verabschiedete die Kleine, die in Thränen verschwimmen wollte. -- Die Scudery gewahrte zu ihrem Schreck, daß die Erinnerung an die Balliere, so ersprießlich sie anfangs geschienen, des Königs Sinn geändert hatte, so wie die Maintenon den Namen genannt. Mocht' es sein, daß der König sich auf unzarte Weise daran erinnert fühlte, daß er im Begriffe stehe, das strenge Recht der Schönheit aufzuopfern, oder vielleicht ging es dem König wie dem Träumer, dem hart angerufen, die schönen Zauberbilder, die er zu umfassen gedachte, schnell verschwinden. Vielleicht sah er nun nicht mehr seine

betroffen über die wunderbare Schönheit des Engelskinds. Er hob das Mädchen sanft auf, dann machte er eine Bewegung, als wolle er ihre Hand, die er gefaßt, küssen. Er ließ sie wieder und schaute das holde Kind an mit thränenfeuchtem Blick, der von der tiefsten innern Rührung zeugte. Leise lispelte die Maintenon der Scudery zu: Sieht sie nicht der la Balliere ähnlich auf ein Haar, das kleine Ding? Der König schwelgt in den süßesten Erinnerungen. Euer Spiel ist gewonnen. — So leise dies auch die Maintenon sprach, doch schien es der König vernommen zu haben. Eine Röthe überflog sein Gesicht, sein Blick streifte bei der Maintenon vorüber, er las die Supplik, die Madelon ihm überreichte, und sprach dann mild und gütig: Ich will's wohl glauben, daß du, mein liebes Kind von deines Geliebten Unschuld überzeugt bist, aber hören wir, was die Chambre ardente dazu sagt! — Eine sanfte Bewegung mit der Hand verabschiedete die Kleine, die in Thränen verschwimmen wollte. — Die Scudery gewahrte zu ihrem Schreck, daß die Erinnerung an die Balliere, so ersprießlich sie anfangs geschienen, des Königs Sinn geändert hatte, so wie die Maintenon den Namen genannt. Mocht' es sein, daß der König sich auf unzarte Weise daran erinnert fühlte, daß er im Begriffe stehe, das strenge Recht der Schönheit aufzuopfern, oder vielleicht ging es dem König wie dem Träumer, dem hart angerufen, die schönen Zauberbilder, die er zu umfassen gedachte, schnell verschwinden. Vielleicht sah er nun nicht mehr seine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0108"/>
betroffen über die wunderbare Schönheit des                Engelskinds. Er hob das Mädchen sanft auf, dann machte er eine Bewegung, als wolle er                ihre Hand, die er gefaßt, küssen. Er ließ sie wieder und schaute das holde Kind an                mit thränenfeuchtem Blick, der von der tiefsten innern Rührung zeugte. Leise lispelte                die Maintenon der Scudery zu: Sieht sie nicht der la Balliere ähnlich auf ein Haar,                das kleine Ding? Der König schwelgt in den süßesten Erinnerungen. Euer Spiel ist                gewonnen. &#x2014; So leise dies auch die Maintenon sprach, doch schien es der König                vernommen zu haben. Eine Röthe überflog sein Gesicht, sein Blick streifte bei der                Maintenon vorüber, er las die Supplik, die Madelon ihm überreichte, und sprach dann                mild und gütig: Ich will's wohl glauben, daß du, mein liebes Kind von deines                Geliebten Unschuld überzeugt bist, aber hören wir, was die Chambre ardente dazu sagt!                &#x2014; Eine sanfte Bewegung mit der Hand verabschiedete die Kleine, die in Thränen                verschwimmen wollte. &#x2014; Die Scudery gewahrte zu ihrem Schreck, daß die Erinnerung an                die Balliere, so ersprießlich sie anfangs geschienen, des Königs Sinn geändert hatte,                so wie die Maintenon den Namen genannt. Mocht' es sein, daß der König sich auf                unzarte Weise daran erinnert fühlte, daß er im Begriffe stehe, das strenge Recht der                Schönheit aufzuopfern, oder vielleicht ging es dem König wie dem Träumer, dem hart                angerufen, die schönen Zauberbilder, die er zu umfassen gedachte, schnell                verschwinden. Vielleicht sah er nun nicht mehr seine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0108] betroffen über die wunderbare Schönheit des Engelskinds. Er hob das Mädchen sanft auf, dann machte er eine Bewegung, als wolle er ihre Hand, die er gefaßt, küssen. Er ließ sie wieder und schaute das holde Kind an mit thränenfeuchtem Blick, der von der tiefsten innern Rührung zeugte. Leise lispelte die Maintenon der Scudery zu: Sieht sie nicht der la Balliere ähnlich auf ein Haar, das kleine Ding? Der König schwelgt in den süßesten Erinnerungen. Euer Spiel ist gewonnen. — So leise dies auch die Maintenon sprach, doch schien es der König vernommen zu haben. Eine Röthe überflog sein Gesicht, sein Blick streifte bei der Maintenon vorüber, er las die Supplik, die Madelon ihm überreichte, und sprach dann mild und gütig: Ich will's wohl glauben, daß du, mein liebes Kind von deines Geliebten Unschuld überzeugt bist, aber hören wir, was die Chambre ardente dazu sagt! — Eine sanfte Bewegung mit der Hand verabschiedete die Kleine, die in Thränen verschwimmen wollte. — Die Scudery gewahrte zu ihrem Schreck, daß die Erinnerung an die Balliere, so ersprießlich sie anfangs geschienen, des Königs Sinn geändert hatte, so wie die Maintenon den Namen genannt. Mocht' es sein, daß der König sich auf unzarte Weise daran erinnert fühlte, daß er im Begriffe stehe, das strenge Recht der Schönheit aufzuopfern, oder vielleicht ging es dem König wie dem Träumer, dem hart angerufen, die schönen Zauberbilder, die er zu umfassen gedachte, schnell verschwinden. Vielleicht sah er nun nicht mehr seine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:42:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/108
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/108>, abgerufen am 21.11.2024.