Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Abstufungen zu sehen, so sollen für Euch in zwei Stunden die Thore der Conciergerie offen sein. Man wird Euch diesen Olivier, dessen Schicksal Eure Theilnahme erregt, vorstellen. In der That konnte sich die Scudery von der Schuld des jungen Menschen nicht überzeugen. Alles sprach wider ihn, ja kein Richter in der Welt hätte anders gehandelt, wie la Regnie, bei solch entscheidenden Thatsachen. Aber das Bild häuslichen Glücks, wie es Madelon mit den lebendigsten Zügen der Scudery vor Augen gestellt, überstrahlte jeden bösen Verdacht, und so mochte sie lieber ein unerklärliches Geheimniß annehmen, als daran glauben, wogegen ihr ganzes Inneres sich empörte. Sie gedachte, sich von Olivier noch einmal Alles, wie es sich in jener verhängnißvollen Nacht begeben, erzählen zu lassen und so viel möglich in ein Geheimniß zu dringen, das vielleicht den Richtern verschlossen geblieben, weil es werthlos schien, sich weiter darum zu bekümmern. In der Conciergerie angekommen, führte man die Scudery in ein großes helles Gemach. Nicht lange darauf vernahm sie Kettengerassel. Olivier Brusson wurde gebracht. Doch so wie er in die Thüre trat, sank auch die Scudery ohnmächtig nieder. Als sie sich erholt hatte, war Olivier verschwunden. Sie verlangte mit Heftigkeit, daß man sie nach dem Wagen bringe, fort, augenblicklich fort wollte sie aus den Gemächern der fre- Abstufungen zu sehen, so sollen für Euch in zwei Stunden die Thore der Conciergerie offen sein. Man wird Euch diesen Olivier, dessen Schicksal Eure Theilnahme erregt, vorstellen. In der That konnte sich die Scudery von der Schuld des jungen Menschen nicht überzeugen. Alles sprach wider ihn, ja kein Richter in der Welt hätte anders gehandelt, wie la Regnie, bei solch entscheidenden Thatsachen. Aber das Bild häuslichen Glücks, wie es Madelon mit den lebendigsten Zügen der Scudery vor Augen gestellt, überstrahlte jeden bösen Verdacht, und so mochte sie lieber ein unerklärliches Geheimniß annehmen, als daran glauben, wogegen ihr ganzes Inneres sich empörte. Sie gedachte, sich von Olivier noch einmal Alles, wie es sich in jener verhängnißvollen Nacht begeben, erzählen zu lassen und so viel möglich in ein Geheimniß zu dringen, das vielleicht den Richtern verschlossen geblieben, weil es werthlos schien, sich weiter darum zu bekümmern. In der Conciergerie angekommen, führte man die Scudery in ein großes helles Gemach. Nicht lange darauf vernahm sie Kettengerassel. Olivier Brusson wurde gebracht. Doch so wie er in die Thüre trat, sank auch die Scudery ohnmächtig nieder. Als sie sich erholt hatte, war Olivier verschwunden. Sie verlangte mit Heftigkeit, daß man sie nach dem Wagen bringe, fort, augenblicklich fort wollte sie aus den Gemächern der fre- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0063"/> Abstufungen zu sehen, so sollen für Euch in zwei Stunden die Thore der Conciergerie offen sein. Man wird Euch diesen Olivier, dessen Schicksal Eure Theilnahme erregt, vorstellen.</p><lb/> <p>In der That konnte sich die Scudery von der Schuld des jungen Menschen nicht überzeugen. Alles sprach wider ihn, ja kein Richter in der Welt hätte anders gehandelt, wie la Regnie, bei solch entscheidenden Thatsachen. Aber das Bild häuslichen Glücks, wie es Madelon mit den lebendigsten Zügen der Scudery vor Augen gestellt, überstrahlte jeden bösen Verdacht, und so mochte sie lieber ein unerklärliches Geheimniß annehmen, als daran glauben, wogegen ihr ganzes Inneres sich empörte.</p><lb/> <p>Sie gedachte, sich von Olivier noch einmal Alles, wie es sich in jener verhängnißvollen Nacht begeben, erzählen zu lassen und so viel möglich in ein Geheimniß zu dringen, das vielleicht den Richtern verschlossen geblieben, weil es werthlos schien, sich weiter darum zu bekümmern.</p><lb/> <p>In der Conciergerie angekommen, führte man die Scudery in ein großes helles Gemach. Nicht lange darauf vernahm sie Kettengerassel. Olivier Brusson wurde gebracht. Doch so wie er in die Thüre trat, sank auch die Scudery ohnmächtig nieder. Als sie sich erholt hatte, war Olivier verschwunden. Sie verlangte mit Heftigkeit, daß man sie nach dem Wagen bringe, fort, augenblicklich fort wollte sie aus den Gemächern der fre-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
Abstufungen zu sehen, so sollen für Euch in zwei Stunden die Thore der Conciergerie offen sein. Man wird Euch diesen Olivier, dessen Schicksal Eure Theilnahme erregt, vorstellen.
In der That konnte sich die Scudery von der Schuld des jungen Menschen nicht überzeugen. Alles sprach wider ihn, ja kein Richter in der Welt hätte anders gehandelt, wie la Regnie, bei solch entscheidenden Thatsachen. Aber das Bild häuslichen Glücks, wie es Madelon mit den lebendigsten Zügen der Scudery vor Augen gestellt, überstrahlte jeden bösen Verdacht, und so mochte sie lieber ein unerklärliches Geheimniß annehmen, als daran glauben, wogegen ihr ganzes Inneres sich empörte.
Sie gedachte, sich von Olivier noch einmal Alles, wie es sich in jener verhängnißvollen Nacht begeben, erzählen zu lassen und so viel möglich in ein Geheimniß zu dringen, das vielleicht den Richtern verschlossen geblieben, weil es werthlos schien, sich weiter darum zu bekümmern.
In der Conciergerie angekommen, führte man die Scudery in ein großes helles Gemach. Nicht lange darauf vernahm sie Kettengerassel. Olivier Brusson wurde gebracht. Doch so wie er in die Thüre trat, sank auch die Scudery ohnmächtig nieder. Als sie sich erholt hatte, war Olivier verschwunden. Sie verlangte mit Heftigkeit, daß man sie nach dem Wagen bringe, fort, augenblicklich fort wollte sie aus den Gemächern der fre-
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Zitationshilfe: | Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/63>, abgerufen am 16.02.2025. |