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Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.

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Vermischte Gedichte.
Drauff kam er auff den schutz der holden nachtigallen/
Und ließ für freudigkeit die holen seuffzer fallen:

Ists möglich/ grosser held! daß dein bemüther geist/
Da Deutschlands feinde dich an deinen grentzen kräncken/
Doch noch an vögel kan/ an schlechte vögel/ dencken?
Daß/ da der stoltze hahn zwar alles reitzt und beist/
Die kinder aber selbst für hunger läst verderben/
Dein adler fremden auch kan ruh und schutz erwerben?
Beglückte nachtigall! Hier stutzte Seladon:
Die lippen wurden eiß/ die wangen blasser thon;
Die reime wurffen sich im munde hin und wieder/
Und kehrten sich zuletzt in diese trauer-lieder.
Beglückte nachtigall: Wo bistu hin gestiegen?
Du ziehst nun ohne scheu in Friedrichs gärten ein;
Ich ärmster aber muß auff koth' und asche liegen/
Da wir in allem doch einander ähnlich seyn.
Denn hastu gleich Athen dein erstes blut zu dancken:
Hat dich ein könig * gleich auff diese welt erzeugt;
So weistu dennoch wohl auch sonder alles zancken/
Daß der Poeten stamm vom Phöbus selber steigt.
Du wurdest wie ein schaaff vom wolffe fortgerissen;
Als dich der Thracier in seine klauen nahm:
Ich ward als wie ein schiff auff trüber see verschmissen/
Und wuste dennoch nicht/ woher die welle kam.
Dir lähmte man mit stahl die gänge deiner zungen/
Und hielt durch diesen schnitt auch deine klagen ein/
Mein schmertz ist niemahls recht aus meiner brust gedrungen;
So gar verschwiegen heist mich das verhängniß seyn.
Du
* Die Poeten dichten/ daß die nachtigall eine tochter des Athenischen
königes Pandions gewesen/ und Philomela geheissen habe. Ihre
schwester sey Progne gewesen/ und habe den Thracischen könig
Tereus zum gemahl gehabt/ welcher sich nachgehends in die Phi-
lomela verliebt/ solche entführt/ geschändet/ und nach begang-
ner that durch abschneidung der zungen verhindern wollen/
seine gewalthat auszuschwatzen. Allein Philomela hat dennoch
ein mittel gefunden/ ihre schande zu offenbahren/ und weil sich
Progne durch abschlachtung seines sohnes an dem Tereus
gerächet/ dieser aber beyde schwestern hierauff ermorden wollen/
soll sich Philomela in eine nachtigall/ gleichwie ihre schwester in
eine schwalbe/ verwandelt haben.

Vermiſchte Gedichte.
Drauff kam er auff den ſchutz der holden nachtigallen/
Und ließ fuͤr freudigkeit die holen ſeuffzer fallen:

Iſts moͤglich/ groſſer held! daß dein bemuͤther geiſt/
Da Deutſchlands feinde dich an deinen grentzen kraͤncken/
Doch noch an voͤgel kan/ an ſchlechte voͤgel/ dencken?
Daß/ da der ſtoltze hahn zwar alles reitzt und beiſt/
Die kinder aber ſelbſt fuͤr hunger laͤſt verderben/
Dein adler fremden auch kan ruh und ſchutz erwerben?
Begluͤckte nachtigall! Hier ſtutzte Seladon:
Die lippen wurden eiß/ die wangen blaſſer thon;
Die reime wurffen ſich im munde hin und wieder/
Und kehrten ſich zuletzt in dieſe trauer-lieder.
Begluͤckte nachtigall: Wo biſtu hin geſtiegen?
Du ziehſt nun ohne ſcheu in Friedrichs gaͤrten ein;
Ich aͤrmſter aber muß auff koth’ und aſche liegen/
Da wir in allem doch einander aͤhnlich ſeyn.
Denn haſtu gleich Athen dein erſtes blut zu dancken:
Hat dich ein koͤnig * gleich auff dieſe welt erzeugt;
So weiſtu dennoch wohl auch ſonder alles zancken/
Daß der Poeten ſtamm vom Phoͤbus ſelber ſteigt.
Du wurdeſt wie ein ſchaaff vom wolffe fortgeriſſen;
Als dich der Thracier in ſeine klauen nahm:
Ich ward als wie ein ſchiff auff truͤber ſee verſchmiſſen/
Und wuſte dennoch nicht/ woher die welle kam.
Dir laͤhmte man mit ſtahl die gaͤnge deiner zungen/
Und hielt durch dieſen ſchnitt auch deine klagen ein/
Mein ſchmertz iſt niemahls recht aus meiner bruſt gedrungen;
So gar verſchwiegen heiſt mich das verhaͤngniß ſeyn.
Du
* Die Poeten dichten/ daß die nachtigall eine tochter des Atheniſchen
koͤniges Pandions geweſen/ und Philomela geheiſſen habe. Ihre
ſchweſter ſey Progne geweſen/ und habe den Thraciſchen koͤnig
Tereus zum gemahl gehabt/ welcher ſich nachgehends in die Phi-
lomela verliebt/ ſolche entfuͤhrt/ geſchaͤndet/ und nach begang-
ner that durch abſchneidung der zungen verhindern wollen/
ſeine gewalthat auszuſchwatzen. Allein Philomela hat dennoch
ein mittel gefunden/ ihre ſchande zu offenbahren/ und weil ſich
Progne durch abſchlachtung ſeines ſohnes an dem Tereus
geraͤchet/ dieſer aber beyde ſchweſtern hierauff ermorden wollen/
ſoll ſich Philomela in eine nachtigall/ gleichwie ihre ſchweſter in
eine ſchwalbe/ verwandelt haben.
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[204/0248] Vermiſchte Gedichte. Drauff kam er auff den ſchutz der holden nachtigallen/ Und ließ fuͤr freudigkeit die holen ſeuffzer fallen: Iſts moͤglich/ groſſer held! daß dein bemuͤther geiſt/ Da Deutſchlands feinde dich an deinen grentzen kraͤncken/ Doch noch an voͤgel kan/ an ſchlechte voͤgel/ dencken? Daß/ da der ſtoltze hahn zwar alles reitzt und beiſt/ Die kinder aber ſelbſt fuͤr hunger laͤſt verderben/ Dein adler fremden auch kan ruh und ſchutz erwerben? Begluͤckte nachtigall! Hier ſtutzte Seladon: Die lippen wurden eiß/ die wangen blaſſer thon; Die reime wurffen ſich im munde hin und wieder/ Und kehrten ſich zuletzt in dieſe trauer-lieder. Begluͤckte nachtigall: Wo biſtu hin geſtiegen? Du ziehſt nun ohne ſcheu in Friedrichs gaͤrten ein; Ich aͤrmſter aber muß auff koth’ und aſche liegen/ Da wir in allem doch einander aͤhnlich ſeyn. Denn haſtu gleich Athen dein erſtes blut zu dancken: Hat dich ein koͤnig * gleich auff dieſe welt erzeugt; So weiſtu dennoch wohl auch ſonder alles zancken/ Daß der Poeten ſtamm vom Phoͤbus ſelber ſteigt. Du wurdeſt wie ein ſchaaff vom wolffe fortgeriſſen; Als dich der Thracier in ſeine klauen nahm: Ich ward als wie ein ſchiff auff truͤber ſee verſchmiſſen/ Und wuſte dennoch nicht/ woher die welle kam. Dir laͤhmte man mit ſtahl die gaͤnge deiner zungen/ Und hielt durch dieſen ſchnitt auch deine klagen ein/ Mein ſchmertz iſt niemahls recht aus meiner bruſt gedrungen; So gar verſchwiegen heiſt mich das verhaͤngniß ſeyn. Du * Die Poeten dichten/ daß die nachtigall eine tochter des Atheniſchen koͤniges Pandions geweſen/ und Philomela geheiſſen habe. Ihre ſchweſter ſey Progne geweſen/ und habe den Thraciſchen koͤnig Tereus zum gemahl gehabt/ welcher ſich nachgehends in die Phi- lomela verliebt/ ſolche entfuͤhrt/ geſchaͤndet/ und nach begang- ner that durch abſchneidung der zungen verhindern wollen/ ſeine gewalthat auszuſchwatzen. Allein Philomela hat dennoch ein mittel gefunden/ ihre ſchande zu offenbahren/ und weil ſich Progne durch abſchlachtung ſeines ſohnes an dem Tereus geraͤchet/ dieſer aber beyde ſchweſtern hierauff ermorden wollen/ ſoll ſich Philomela in eine nachtigall/ gleichwie ihre ſchweſter in eine ſchwalbe/ verwandelt haben.

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Zitationshilfe: Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/248>, abgerufen am 27.11.2024.