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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

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Vorrede.
ob sie schon aus keiner gelehrten feder geflossen.
Zwar bin ich nicht in gäntzlicher abrede, daß ein
poete, der die erkenntniß der natur, die sitten-staats-
lehre und historie zu seinen diensten hat, es viel weiter
bringen könne, als einer, so dieser hülffe entblösset
ist. Gleichwie aber einer dennoch die spitze des
Parnassus ohnstreitig erreichen kan, wenn er schon
mit keinen metaphysicalischen haken, mathemati-
schen stäben oder fern-gläsern, und arithmetischen
wegweisern versehen ist, als wovon man in des Mal-
herbe, und Hoffmannswaldaus getichten kei-
ne spuren siehet; also ist es nicht nur irrig, daß die
poesie ein innbegriff aller wissenschafften sey, sondern
es folgt auch nicht einmahl der auf diesen satz ge-
bauete schluß von dem erwehnten vorzuge.

6. Die verächter der poesie scheinen ein wenig
besser zu urtheilen; aber wenn man es bey lichten be-
siehet, so sind sie eben so wohl zu weit gegangen, und
haben einen thurm aufgeführet, der mehr sand als
steine zu seinem grunde hat. Es kan seyn, daß die
ticht-kunst, wie die poesie von denen Cainiten oder
gottlosen entstanden, und theils die wollust, theils
den aberglauben, oder andre böse regungen als mut-
ter erkennet. Es ist darum nicht alles so gleich an
sich selbst böse, und verwerfflich, das einen bösen ur-
sprung hat. Die vieh-zucht, und die eisen-arbeit
kommt eben so wohl von Cainiten, als die poesie; wer
sie aber deßwegen schlechterdings verachten und als
was böses ansehen wolte, würde ohne zweifel als ein
kerl, der nicht recht unter dem hute verwahret wäre,
ausgelacht werden.

7. Daß

Vorrede.
ob ſie ſchon aus keiner gelehrten feder gefloſſen.
Zwar bin ich nicht in gaͤntzlicher abrede, daß ein
poete, der die erkenntniß der natur, die ſitten-ſtaats-
lehre und hiſtorie zu ſeinen dienſten hat, es viel weiter
bringen koͤnne, als einer, ſo dieſer huͤlffe entbloͤſſet
iſt. Gleichwie aber einer dennoch die ſpitze des
Parnaſſus ohnſtreitig erreichen kan, wenn er ſchon
mit keinen metaphyſicaliſchen haken, mathemati-
ſchen ſtaͤben oder fern-glaͤſern, und arithmetiſchen
wegweiſern verſehen iſt, als wovon man in des Mal-
herbe, und Hoffmannswaldaus getichten kei-
ne ſpuren ſiehet; alſo iſt es nicht nur irrig, daß die
poeſie ein innbegriff aller wiſſenſchafften ſey, ſondern
es folgt auch nicht einmahl der auf dieſen ſatz ge-
bauete ſchluß von dem erwehnten vorzuge.

6. Die veraͤchter der poeſie ſcheinen ein wenig
beſſer zu urtheilen; aber wenn man es bey lichten be-
ſiehet, ſo ſind ſie eben ſo wohl zu weit gegangen, und
haben einen thurm aufgefuͤhret, der mehr ſand als
ſteine zu ſeinem grunde hat. Es kan ſeyn, daß die
ticht-kunſt, wie die poeſie von denen Cainiten oder
gottloſen entſtanden, und theils die wolluſt, theils
den aberglauben, oder andre boͤſe regungen als mut-
ter erkennet. Es iſt darum nicht alles ſo gleich an
ſich ſelbſt boͤſe, und verwerfflich, das einen boͤſen ur-
ſprung hat. Die vieh-zucht, und die eiſen-arbeit
kommt eben ſo wohl von Cainiten, als die poeſie; wer
ſie aber deßwegen ſchlechterdings verachten und als
was boͤſes anſehen wolte, wuͤrde ohne zweifel als ein
kerl, der nicht recht unter dem hute verwahret waͤre,
ausgelacht werden.

7. Daß
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[0011] Vorrede. ob ſie ſchon aus keiner gelehrten feder gefloſſen. Zwar bin ich nicht in gaͤntzlicher abrede, daß ein poete, der die erkenntniß der natur, die ſitten-ſtaats- lehre und hiſtorie zu ſeinen dienſten hat, es viel weiter bringen koͤnne, als einer, ſo dieſer huͤlffe entbloͤſſet iſt. Gleichwie aber einer dennoch die ſpitze des Parnaſſus ohnſtreitig erreichen kan, wenn er ſchon mit keinen metaphyſicaliſchen haken, mathemati- ſchen ſtaͤben oder fern-glaͤſern, und arithmetiſchen wegweiſern verſehen iſt, als wovon man in des Mal- herbe, und Hoffmannswaldaus getichten kei- ne ſpuren ſiehet; alſo iſt es nicht nur irrig, daß die poeſie ein innbegriff aller wiſſenſchafften ſey, ſondern es folgt auch nicht einmahl der auf dieſen ſatz ge- bauete ſchluß von dem erwehnten vorzuge. 6. Die veraͤchter der poeſie ſcheinen ein wenig beſſer zu urtheilen; aber wenn man es bey lichten be- ſiehet, ſo ſind ſie eben ſo wohl zu weit gegangen, und haben einen thurm aufgefuͤhret, der mehr ſand als ſteine zu ſeinem grunde hat. Es kan ſeyn, daß die ticht-kunſt, wie die poeſie von denen Cainiten oder gottloſen entſtanden, und theils die wolluſt, theils den aberglauben, oder andre boͤſe regungen als mut- ter erkennet. Es iſt darum nicht alles ſo gleich an ſich ſelbſt boͤſe, und verwerfflich, das einen boͤſen ur- ſprung hat. Die vieh-zucht, und die eiſen-arbeit kommt eben ſo wohl von Cainiten, als die poeſie; wer ſie aber deßwegen ſchlechterdings verachten und als was boͤſes anſehen wolte, wuͤrde ohne zweifel als ein kerl, der nicht recht unter dem hute verwahret waͤre, ausgelacht werden. 7. Daß

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/11>, abgerufen am 29.04.2024.