Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
gebundne reden kleiden, ohne daß die ehrliche rede-
kunst die geringste schuld daran hat. Denn es ist
nichts so unschuldig, das die thorheit und bosheit
nicht solte misbrauchen können. War Martialis
ein sclavischer schmeichler? und Catullus ein geiler
zotenreisser? so finden wir hingegen an denen vor-
trefflichen Herren Baronen von Abschatz und Canitz
zwey grosse poeten, an denen man viel zu rühmen,
aber nichts dergleichen wird zu tadeln oder auszuse-
tzen haben.

11. Die verächter der tichtkunst sind aber doch
noch nicht gantz abgefertiget, sie haben noch mehr
pfeile im vorrathe. "Die poeten, sagen sie, brin-
"gen gleichwol nichts gescheutes vor: sie achten die
"wahrheit so viel als nichts: die einbildungs-krafft ist
"ihr abgott und führer, welche gleichwol allezeit die
"latte gewesen, mit welcher die narren gelauffen.
"Daher ist die poesie dem verstande so entgegen, daß,
"so bald als einer darinne excelliret, so bald hat er
"auch denen zum judicio und gedächtniß gehörigen
"wissenschafften den lauffzettel geben müssen. So-
"crates hatte die poesie auch studieret; aber weil er
"nicht aufhörte, ein weiser mann zu seyn, so konnte er
"auch nicht anfangen, verse zu machen. Es ist dem-
"nach dem Plato gar nicht zu verübeln, daß er keine
"tichter in seiner republic leiden wollen.

12. Aber wie so gar stumpff sind diese pfeile!
und wie klar beweisen diejenigen, so sie geschnitzet,
daß es auch scribenten in prosa gäbe, denen es an der
secunda Petri fehlet! Denen poeten ins gesammt ver-

stand

Vorrede.
gebundne reden kleiden, ohne daß die ehrliche rede-
kunſt die geringſte ſchuld daran hat. Denn es iſt
nichts ſo unſchuldig, das die thorheit und bosheit
nicht ſolte misbrauchen koͤnnen. War Martialis
ein ſclaviſcher ſchmeichler? und Catullus ein geiler
zotenreiſſer? ſo finden wir hingegen an denen vor-
trefflichen Herren Baronen von Abſchatz und Canitz
zwey groſſe poeten, an denen man viel zu ruͤhmen,
aber nichts dergleichen wird zu tadeln oder auszuſe-
tzen haben.

11. Die veraͤchter der tichtkunſt ſind aber doch
noch nicht gantz abgefertiget, ſie haben noch mehr
pfeile im vorrathe. “Die poeten, ſagen ſie, brin-
„gen gleichwol nichts geſcheutes vor: ſie achten die
„wahrheit ſo viel als nichts: die einbildungs-krafft iſt
„ihr abgott und fuͤhrer, welche gleichwol allezeit die
„latte geweſen, mit welcher die narren gelauffen.
„Daher iſt die poeſie dem verſtande ſo entgegen, daß,
„ſo bald als einer darinne excelliret, ſo bald hat er
„auch denen zum judicio und gedaͤchtniß gehoͤrigen
„wiſſenſchafften den lauffzettel geben muͤſſen. So-
„crates hatte die poeſie auch ſtudieret; aber weil er
„nicht aufhoͤrte, ein weiſer mann zu ſeyn, ſo konnte er
„auch nicht anfangen, verſe zu machen. Es iſt dem-
„nach dem Plato gar nicht zu veruͤbeln, daß er keine
„tichter in ſeiner republic leiden wollen.

12. Aber wie ſo gar ſtumpff ſind dieſe pfeile!
und wie klar beweiſen diejenigen, ſo ſie geſchnitzet,
daß es auch ſcribenten in proſâ gaͤbe, denen es an der
ſecundâ Petri fehlet! Denen poeten ins geſammt ver-

ſtand
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorrede.</hi></fw><lb/>
gebundne reden kleiden, ohne daß die ehrliche rede-<lb/>
kun&#x017F;t die gering&#x017F;te &#x017F;chuld daran hat. Denn es i&#x017F;t<lb/>
nichts &#x017F;o un&#x017F;chuldig, das die thorheit und bosheit<lb/>
nicht &#x017F;olte misbrauchen ko&#x0364;nnen. War <hi rendition="#aq">Martialis</hi><lb/>
ein &#x017F;clavi&#x017F;cher &#x017F;chmeichler? und <hi rendition="#aq">Catullus</hi> ein geiler<lb/>
zotenrei&#x017F;&#x017F;er? &#x017F;o finden wir hingegen an denen vor-<lb/>
trefflichen Herren Baronen von Ab&#x017F;chatz und Canitz<lb/>
zwey gro&#x017F;&#x017F;e poeten, an denen man viel zu ru&#x0364;hmen,<lb/>
aber nichts dergleichen wird zu tadeln oder auszu&#x017F;e-<lb/>
tzen haben.</p><lb/>
        <p>11. Die vera&#x0364;chter der tichtkun&#x017F;t &#x017F;ind aber doch<lb/>
noch nicht gantz abgefertiget, &#x017F;ie haben noch mehr<lb/>
pfeile im vorrathe. &#x201C;Die poeten, &#x017F;agen &#x017F;ie, brin-<lb/>
&#x201E;gen gleichwol nichts ge&#x017F;cheutes vor: &#x017F;ie achten die<lb/>
&#x201E;wahrheit &#x017F;o viel als nichts: die einbildungs-krafft i&#x017F;t<lb/>
&#x201E;ihr abgott und fu&#x0364;hrer, welche gleichwol allezeit die<lb/>
&#x201E;latte gewe&#x017F;en, mit welcher die narren gelauffen.<lb/>
&#x201E;Daher i&#x017F;t die poe&#x017F;ie dem ver&#x017F;tande &#x017F;o entgegen, daß,<lb/>
&#x201E;&#x017F;o bald als einer darinne <hi rendition="#aq">excellir</hi>et, &#x017F;o bald hat er<lb/>
&#x201E;auch denen zum <hi rendition="#aq">judicio</hi> und geda&#x0364;chtniß geho&#x0364;rigen<lb/>
&#x201E;wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafften den lauffzettel geben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. So-<lb/>
&#x201E;crates hatte die poe&#x017F;ie auch &#x017F;tudieret; aber weil er<lb/>
&#x201E;nicht aufho&#x0364;rte, ein wei&#x017F;er mann zu &#x017F;eyn, &#x017F;o konnte er<lb/>
&#x201E;auch nicht anfangen, ver&#x017F;e zu machen. Es i&#x017F;t dem-<lb/>
&#x201E;nach dem Plato gar nicht zu veru&#x0364;beln, daß er keine<lb/>
&#x201E;tichter in &#x017F;einer republic leiden wollen.</p><lb/>
        <p>12. Aber wie &#x017F;o gar &#x017F;tumpff &#x017F;ind die&#x017F;e pfeile!<lb/>
und wie klar bewei&#x017F;en diejenigen, &#x017F;o &#x017F;ie ge&#x017F;chnitzet,<lb/>
daß es auch &#x017F;cribenten <hi rendition="#aq">in pro&#x017F;â</hi> ga&#x0364;be, denen es an der<lb/><hi rendition="#aq">&#x017F;ecundâ Petri</hi> fehlet! Denen poeten ins ge&#x017F;ammt ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tand</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0014] Vorrede. gebundne reden kleiden, ohne daß die ehrliche rede- kunſt die geringſte ſchuld daran hat. Denn es iſt nichts ſo unſchuldig, das die thorheit und bosheit nicht ſolte misbrauchen koͤnnen. War Martialis ein ſclaviſcher ſchmeichler? und Catullus ein geiler zotenreiſſer? ſo finden wir hingegen an denen vor- trefflichen Herren Baronen von Abſchatz und Canitz zwey groſſe poeten, an denen man viel zu ruͤhmen, aber nichts dergleichen wird zu tadeln oder auszuſe- tzen haben. 11. Die veraͤchter der tichtkunſt ſind aber doch noch nicht gantz abgefertiget, ſie haben noch mehr pfeile im vorrathe. “Die poeten, ſagen ſie, brin- „gen gleichwol nichts geſcheutes vor: ſie achten die „wahrheit ſo viel als nichts: die einbildungs-krafft iſt „ihr abgott und fuͤhrer, welche gleichwol allezeit die „latte geweſen, mit welcher die narren gelauffen. „Daher iſt die poeſie dem verſtande ſo entgegen, daß, „ſo bald als einer darinne excelliret, ſo bald hat er „auch denen zum judicio und gedaͤchtniß gehoͤrigen „wiſſenſchafften den lauffzettel geben muͤſſen. So- „crates hatte die poeſie auch ſtudieret; aber weil er „nicht aufhoͤrte, ein weiſer mann zu ſeyn, ſo konnte er „auch nicht anfangen, verſe zu machen. Es iſt dem- „nach dem Plato gar nicht zu veruͤbeln, daß er keine „tichter in ſeiner republic leiden wollen. 12. Aber wie ſo gar ſtumpff ſind dieſe pfeile! und wie klar beweiſen diejenigen, ſo ſie geſchnitzet, daß es auch ſcribenten in proſâ gaͤbe, denen es an der ſecundâ Petri fehlet! Denen poeten ins geſammt ver- ſtand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/14
Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/14>, abgerufen am 23.11.2024.