Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

Bild:
<< vorherige Seite

Leanders aus Schlesien
Denn wie uns mit der zeit ein herber überdruß
Den honig selbst vergällt; So ward der zucker-fluß,
Der unsre nachtigall so angenehm ergetzet,
Jhr endlich wermuth-safft: Was sie so hoch-geschätzet,
Florettens schmeicheley, gefiel ihr nun nicht mehr:
Man pfieff ihr süsse vor; sie gab doch kein gehör,
Seit die gefangenschafft ihr in den kopff gestiegen:
Jhr wunsch war, wiederum in ihren wald zu fliegen;
Allein sie konte nicht, der kesicht hielt sie auf,
Der göldne kesicht hemmt in ihr der freuden lauf:
Die holde zunge schwieg. Es klungen keine lieder:
Der menschen gegen-wart wurd ihr durchaus zuwider:
Sie wolt' alleine seyn. Die stille traurigkeit
Nahm täglich in ihr zu. Sie seufftzt': "O göldne zeit!
"Wo bist, wo bist du hin? Soll ich, als sclavin girren?
"Kan ich nicht, wie zuvor, um die gebüsche schwirren,
"Wo meine mutter sang, die schwestern eingestimmt?
"So muß das kleine tacht, so noch im hertzen glimmt,
"Alsbald verloschen seyn. Die sorgende Florette
Macht ihr in ihrer hand zwar ein gar sanfftes bette:
Die lippen flösten ihr den safft des lebens zu;
Doch ihr geschlossner mund sprach: "Laß mich nur zur ruh,
"Du meine mörderin! Die schwachen flügel fielen:
Der kopff sanck hinterwerts, und schlos mit mattem schieles
Die augen und sich selbst in beyde sittig' ein.
Kurtz: Diese traurigkeit legt ihr den leichen-stein.



Ein kercker wird doch wohl ein kercker seyn und heissen:
Er mag auch noch so lieblich gleissen.
Zuweilen ist an dem, was man so liebreich schätzt,
Nichts, als der nahm und schein, der aug und ohr ergetzt.


Auf Lisettens seeliges absterben.
LJsette schlief so sanfft und seclig ein:
Daß, wenn es könte möglich seyn,
Daß auch die engel sterben solten,
Sie gantz gewiß nicht anders sterben wolten.
Von

Leanders aus Schleſien
Denn wie uns mit der zeit ein herber uͤberdruß
Den honig ſelbſt vergaͤllt; So ward der zucker-fluß,
Der unſre nachtigall ſo angenehm ergetzet,
Jhr endlich wermuth-ſafft: Was ſie ſo hoch-geſchaͤtzet,
Florettens ſchmeicheley, gefiel ihr nun nicht mehr:
Man pfieff ihr ſuͤſſe vor; ſie gab doch kein gehoͤr,
Seit die gefangenſchafft ihr in den kopff geſtiegen:
Jhr wunſch war, wiederum in ihren wald zu fliegen;
Allein ſie konte nicht, der keſicht hielt ſie auf,
Der goͤldne keſicht hemmt in ihr der freuden lauf:
Die holde zunge ſchwieg. Es klungen keine lieder:
Der menſchen gegen-wart wurd ihr durchaus zuwider:
Sie wolt’ alleine ſeyn. Die ſtille traurigkeit
Nahm taͤglich in ihr zu. Sie ſeufftzt’: “O goͤldne zeit!
„Wo biſt, wo biſt du hin? Soll ich, als ſclavin girren?
„Kan ich nicht, wie zuvor, um die gebuͤſche ſchwirren,
„Wo meine mutter ſang, die ſchweſtern eingeſtimmt?
„So muß das kleine tacht, ſo noch im hertzen glimmt,
„Alsbald verloſchen ſeyn. Die ſorgende Florette
Macht ihr in ihrer hand zwar ein gar ſanfftes bette:
Die lippen floͤſten ihr den ſafft des lebens zu;
Doch ihr geſchloſſner mund ſprach: “Laß mich nur zur ruh,
„Du meine moͤrderin! Die ſchwachen fluͤgel fielen:
Der kopff ſanck hinterwerts, und ſchlos mit mattem ſchieles
Die augen und ſich ſelbſt in beyde ſittig’ ein.
Kurtz: Dieſe traurigkeit legt ihr den leichen-ſtein.



Ein kercker wird doch wohl ein kercker ſeyn und heiſſen:
Er mag auch noch ſo lieblich gleiſſen.
Zuweilen iſt an dem, was man ſo liebreich ſchaͤtzt,
Nichts, als der nahm und ſchein, der aug und ohr ergetzt.


Auf Liſettens ſeeliges abſterben.
LJſette ſchlief ſo ſanfft und ſeclig ein:
Daß, wenn es koͤnte moͤglich ſeyn,
Daß auch die engel ſterben ſolten,
Sie gantz gewiß nicht anders ſterben wolten.
Von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <pb facs="#f0380" n="356"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Leanders aus Schle&#x017F;ien</hi> </fw><lb/>
              <l>Denn wie uns mit der zeit ein herber u&#x0364;berdruß</l><lb/>
              <l>Den honig &#x017F;elb&#x017F;t verga&#x0364;llt; So ward der zucker-fluß,</l><lb/>
              <l>Der un&#x017F;re nachtigall &#x017F;o angenehm ergetzet,</l><lb/>
              <l>Jhr endlich wermuth-&#x017F;afft: Was &#x017F;ie &#x017F;o hoch-ge&#x017F;cha&#x0364;tzet,</l><lb/>
              <l>Florettens &#x017F;chmeicheley, gefiel ihr nun nicht mehr:</l><lb/>
              <l>Man pfieff ihr &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e vor; &#x017F;ie gab doch kein geho&#x0364;r,</l><lb/>
              <l>Seit die gefangen&#x017F;chafft ihr in den kopff ge&#x017F;tiegen:</l><lb/>
              <l>Jhr wun&#x017F;ch war, wiederum in ihren wald zu fliegen;</l><lb/>
              <l>Allein &#x017F;ie konte nicht, der ke&#x017F;icht hielt &#x017F;ie auf,</l><lb/>
              <l>Der go&#x0364;ldne ke&#x017F;icht hemmt in ihr der freuden lauf:</l><lb/>
              <l>Die holde zunge &#x017F;chwieg. Es klungen keine lieder:</l><lb/>
              <l>Der men&#x017F;chen gegen-wart wurd ihr durchaus zuwider:</l><lb/>
              <l>Sie wolt&#x2019; alleine &#x017F;eyn. Die &#x017F;tille traurigkeit</l><lb/>
              <l>Nahm ta&#x0364;glich in ihr zu. Sie &#x017F;eufftzt&#x2019;: &#x201C;O go&#x0364;ldne zeit!</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wo bi&#x017F;t, wo bi&#x017F;t du hin? Soll ich, als &#x017F;clavin girren?</l><lb/>
              <l>&#x201E;Kan ich nicht, wie zuvor, um die gebu&#x0364;&#x017F;che &#x017F;chwirren,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wo meine mutter &#x017F;ang, die &#x017F;chwe&#x017F;tern einge&#x017F;timmt?</l><lb/>
              <l>&#x201E;So muß das kleine tacht, &#x017F;o noch im hertzen glimmt,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Alsbald verlo&#x017F;chen &#x017F;eyn. Die &#x017F;orgende Florette</l><lb/>
              <l>Macht ihr in ihrer hand zwar ein gar &#x017F;anfftes bette:</l><lb/>
              <l>Die lippen flo&#x0364;&#x017F;ten ihr den &#x017F;afft des lebens zu;</l><lb/>
              <l>Doch ihr ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ner mund &#x017F;prach: &#x201C;Laß mich nur zur ruh,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Du meine mo&#x0364;rderin! Die &#x017F;chwachen flu&#x0364;gel fielen:</l><lb/>
              <l>Der kopff &#x017F;anck hinterwerts, und &#x017F;chlos mit mattem &#x017F;chieles</l><lb/>
              <l>Die augen und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t in beyde &#x017F;ittig&#x2019; ein.</l><lb/>
              <l>Kurtz: Die&#x017F;e traurigkeit legt ihr den leichen-&#x017F;tein.</l>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Ein kercker wird doch wohl ein kercker &#x017F;eyn und hei&#x017F;&#x017F;en:</l><lb/>
              <l>Er mag auch noch &#x017F;o lieblich glei&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
              <l>Zuweilen i&#x017F;t an dem, was man &#x017F;o liebreich &#x017F;cha&#x0364;tzt,</l><lb/>
              <l>Nichts, als der nahm und &#x017F;chein, der aug und ohr ergetzt.</l>
            </lg>
          </lg><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <lg type="poem">
            <head> <hi rendition="#b">Auf Li&#x017F;ettens &#x017F;eeliges ab&#x017F;terben.</hi> </head><lb/>
            <l><hi rendition="#in">L</hi>J&#x017F;ette &#x017F;chlief &#x017F;o &#x017F;anfft und &#x017F;eclig ein:</l><lb/>
            <l>Daß, wenn es ko&#x0364;nte mo&#x0364;glich &#x017F;eyn,</l><lb/>
            <l>Daß auch die engel &#x017F;terben &#x017F;olten,</l><lb/>
            <l>Sie gantz gewiß nicht anders &#x017F;terben wolten.</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Von</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0380] Leanders aus Schleſien Denn wie uns mit der zeit ein herber uͤberdruß Den honig ſelbſt vergaͤllt; So ward der zucker-fluß, Der unſre nachtigall ſo angenehm ergetzet, Jhr endlich wermuth-ſafft: Was ſie ſo hoch-geſchaͤtzet, Florettens ſchmeicheley, gefiel ihr nun nicht mehr: Man pfieff ihr ſuͤſſe vor; ſie gab doch kein gehoͤr, Seit die gefangenſchafft ihr in den kopff geſtiegen: Jhr wunſch war, wiederum in ihren wald zu fliegen; Allein ſie konte nicht, der keſicht hielt ſie auf, Der goͤldne keſicht hemmt in ihr der freuden lauf: Die holde zunge ſchwieg. Es klungen keine lieder: Der menſchen gegen-wart wurd ihr durchaus zuwider: Sie wolt’ alleine ſeyn. Die ſtille traurigkeit Nahm taͤglich in ihr zu. Sie ſeufftzt’: “O goͤldne zeit! „Wo biſt, wo biſt du hin? Soll ich, als ſclavin girren? „Kan ich nicht, wie zuvor, um die gebuͤſche ſchwirren, „Wo meine mutter ſang, die ſchweſtern eingeſtimmt? „So muß das kleine tacht, ſo noch im hertzen glimmt, „Alsbald verloſchen ſeyn. Die ſorgende Florette Macht ihr in ihrer hand zwar ein gar ſanfftes bette: Die lippen floͤſten ihr den ſafft des lebens zu; Doch ihr geſchloſſner mund ſprach: “Laß mich nur zur ruh, „Du meine moͤrderin! Die ſchwachen fluͤgel fielen: Der kopff ſanck hinterwerts, und ſchlos mit mattem ſchieles Die augen und ſich ſelbſt in beyde ſittig’ ein. Kurtz: Dieſe traurigkeit legt ihr den leichen-ſtein. Ein kercker wird doch wohl ein kercker ſeyn und heiſſen: Er mag auch noch ſo lieblich gleiſſen. Zuweilen iſt an dem, was man ſo liebreich ſchaͤtzt, Nichts, als der nahm und ſchein, der aug und ohr ergetzt. Auf Liſettens ſeeliges abſterben. LJſette ſchlief ſo ſanfft und ſeclig ein: Daß, wenn es koͤnte moͤglich ſeyn, Daß auch die engel ſterben ſolten, Sie gantz gewiß nicht anders ſterben wolten. Von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/380
Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/380>, abgerufen am 16.05.2024.