Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.

Bild:
<< vorherige Seite
Socrates.
Was die Mäßigkeit betriefft/ so kan solche keines
weges recht bey ihnen wohnen/ denn die rechte Mäs-
sigkeit ist

Wenn man die Lust in Gräntzen fast/
Und unter vieler Regungs-Last/
Dazu uns Fleisch und Blut verleitet/
Die Seel in ihrer Freyheit hält/
Und aus den schnöden Schrancken stelt/
Da sie die Wollust stets bestreitet.
Diese Tugend ist niemand anderen als den Wei-
sen gegeben. Denn ob sich gleich etliche mäßig zu
erscheinen/ einer oder der andern Wollust entbre-
chen/ so geschiehet es nur mehrentheils darum/ da-
mit sie sich zu einer andern desto geschickter befinden
mögen/ und überwältigen also niemals eine böse
Regung/ es sey denn durch Zwang einer ärgeren/
wie dann solche Leute in gemein wegen Unmäßig-
keit mäßig seyn. Man muß aber wol erwegen/ daß
dieses nicht der rechte Weg zur Tugend ist/ Wollust
mit Wollust/ Furcht mit Furcht/ Schmertzen mit
Schmertzen/ und das Kleinere gegen das grössere/
wie mit dem Gelde zugeschehen pfleget/ zu ver-
wechseln; sondern daß dieses alleine die rechte
Müntze sey/ gegen welche man andere alle ingesamt
verwechseln könne. Dieses ist nun Witz und Ver-
stand/ vor welche und mit welchen alle Sachen ge-
kaufft und verkaufft werden; wie denn auch Groß-
mütig- Mäßig- und Gerechtigkeit/ ja mit einem
Worte/ die rechte Tugend selbst mit der Weißheit/
ohne Absonderung der Wollust oder Furcht/ wie
auch
C
Socrates.
Was die Maͤßigkeit betriefft/ ſo kan ſolche keines
weges recht bey ihnen wohnen/ denn die rechte Maͤſ-
ſigkeit iſt

Wenn man die Luſt in Graͤntzen faſt/
Und unter vieler Regungs-Laſt/
Dazu uns Fleiſch und Blut verleitet/
Die Seel in ihrer Freyheit haͤlt/
Und aus den ſchnoͤden Schrancken ſtelt/
Da ſie die Wolluſt ſtets beſtreitet.
Dieſe Tugend iſt niemand anderen als den Wei-
ſen gegeben. Denn ob ſich gleich etliche maͤßig zu
erſcheinen/ einer oder der andern Wolluſt entbre-
chen/ ſo geſchiehet es nur mehrentheils darum/ da-
mit ſie ſich zu einer andern deſto geſchickter befinden
moͤgen/ und uͤberwaͤltigen alſo niemals eine boͤſe
Regung/ es ſey denn durch Zwang einer aͤrgeren/
wie dann ſolche Leute in gemein wegen Unmaͤßig-
keit maͤßig ſeyn. Man muß aber wol erwegen/ daß
dieſes nicht der rechte Weg zur Tugend iſt/ Wolluſt
mit Wolluſt/ Furcht mit Furcht/ Schmertzen mit
Schmertzen/ und das Kleinere gegen das groͤſſere/
wie mit dem Gelde zugeſchehen pfleget/ zu ver-
wechſeln; ſondern daß dieſes alleine die rechte
Muͤntze ſey/ gegen welche man andere alle ingeſamt
verwechſeln koͤnne. Dieſes iſt nun Witz und Ver-
ſtand/ vor welche und mit welchen alle Sachen ge-
kaufft und verkaufft werden; wie denn auch Groß-
muͤtig- Maͤßig- und Gerechtigkeit/ ja mit einem
Worte/ die rechte Tugend ſelbſt mit der Weißheit/
ohne Abſonderung der Wolluſt oder Furcht/ wie
auch
C
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#SIM">
          <p><pb facs="#f0285" n="27"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Socrates.</hi></fw><lb/>
Was die Ma&#x0364;ßigkeit betriefft/ &#x017F;o kan &#x017F;olche keines<lb/>
weges recht bey ihnen wohnen/ denn die rechte Ma&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;igkeit i&#x017F;t</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Wenn man die Lu&#x017F;t in Gra&#x0364;ntzen fa&#x017F;t/</l><lb/>
            <l>Und unter vieler Regungs-La&#x017F;t/</l><lb/>
            <l>Dazu uns Flei&#x017F;ch und Blut verleitet/</l><lb/>
            <l>Die Seel in ihrer Freyheit ha&#x0364;lt/</l><lb/>
            <l>Und aus den &#x017F;chno&#x0364;den Schrancken &#x017F;telt/</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;ie die Wollu&#x017F;t &#x017F;tets be&#x017F;treitet.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Tugend i&#x017F;t niemand anderen als den Wei-<lb/>
&#x017F;en gegeben. Denn ob &#x017F;ich gleich etliche ma&#x0364;ßig zu<lb/>
er&#x017F;cheinen/ einer oder der andern Wollu&#x017F;t entbre-<lb/>
chen/ &#x017F;o ge&#x017F;chiehet es nur mehrentheils darum/ da-<lb/>
mit &#x017F;ie &#x017F;ich zu einer andern de&#x017F;to ge&#x017F;chickter befinden<lb/>
mo&#x0364;gen/ und u&#x0364;berwa&#x0364;ltigen al&#x017F;o niemals eine bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
Regung/ es &#x017F;ey denn durch Zwang einer a&#x0364;rgeren/<lb/>
wie dann &#x017F;olche Leute in gemein wegen Unma&#x0364;ßig-<lb/>
keit ma&#x0364;ßig &#x017F;eyn. Man muß aber wol erwegen/ daß<lb/>
die&#x017F;es nicht der rechte Weg zur Tugend i&#x017F;t/ Wollu&#x017F;t<lb/>
mit Wollu&#x017F;t/ Furcht mit Furcht/ Schmertzen mit<lb/>
Schmertzen/ und das Kleinere gegen das gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere/<lb/>
wie mit dem Gelde zuge&#x017F;chehen pfleget/ zu ver-<lb/>
wech&#x017F;eln; &#x017F;ondern daß die&#x017F;es alleine die rechte<lb/>
Mu&#x0364;ntze &#x017F;ey/ gegen welche man andere alle inge&#x017F;amt<lb/>
verwech&#x017F;eln ko&#x0364;nne. Die&#x017F;es i&#x017F;t nun Witz und Ver-<lb/>
&#x017F;tand/ vor welche und mit welchen alle Sachen ge-<lb/>
kaufft und verkaufft werden; wie denn auch Groß-<lb/>
mu&#x0364;tig- Ma&#x0364;ßig- und Gerechtigkeit/ ja mit einem<lb/>
Worte/ die rechte Tugend &#x017F;elb&#x017F;t mit der Weißheit/<lb/>
ohne Ab&#x017F;onderung der Wollu&#x017F;t oder Furcht/ wie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C</fw><fw place="bottom" type="catch">auch</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0285] Socrates. Was die Maͤßigkeit betriefft/ ſo kan ſolche keines weges recht bey ihnen wohnen/ denn die rechte Maͤſ- ſigkeit iſt Wenn man die Luſt in Graͤntzen faſt/ Und unter vieler Regungs-Laſt/ Dazu uns Fleiſch und Blut verleitet/ Die Seel in ihrer Freyheit haͤlt/ Und aus den ſchnoͤden Schrancken ſtelt/ Da ſie die Wolluſt ſtets beſtreitet. Dieſe Tugend iſt niemand anderen als den Wei- ſen gegeben. Denn ob ſich gleich etliche maͤßig zu erſcheinen/ einer oder der andern Wolluſt entbre- chen/ ſo geſchiehet es nur mehrentheils darum/ da- mit ſie ſich zu einer andern deſto geſchickter befinden moͤgen/ und uͤberwaͤltigen alſo niemals eine boͤſe Regung/ es ſey denn durch Zwang einer aͤrgeren/ wie dann ſolche Leute in gemein wegen Unmaͤßig- keit maͤßig ſeyn. Man muß aber wol erwegen/ daß dieſes nicht der rechte Weg zur Tugend iſt/ Wolluſt mit Wolluſt/ Furcht mit Furcht/ Schmertzen mit Schmertzen/ und das Kleinere gegen das groͤſſere/ wie mit dem Gelde zugeſchehen pfleget/ zu ver- wechſeln; ſondern daß dieſes alleine die rechte Muͤntze ſey/ gegen welche man andere alle ingeſamt verwechſeln koͤnne. Dieſes iſt nun Witz und Ver- ſtand/ vor welche und mit welchen alle Sachen ge- kaufft und verkaufft werden; wie denn auch Groß- muͤtig- Maͤßig- und Gerechtigkeit/ ja mit einem Worte/ die rechte Tugend ſelbſt mit der Weißheit/ ohne Abſonderung der Wolluſt oder Furcht/ wie auch C

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/285
Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/285>, abgerufen am 24.11.2024.