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Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.

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Der sterbende
Müssen wir nicht bekennen/ daß wann ein Mensch/
so eine Sache genauer beschauet/ und betrachtet/
welcher etwan/ einer andern gemäß zu seyn begeh-
ret/ und nun gewiß verspühret/ daß das jenige/ so
er in seinem Willen zu solcher Beschaffenheit brin-
gen wil/ gantz mangelhafft und entfernet ist/ noth-
wendig daraus folgen müste/ daß er etwan zuvor ei-
ne Aehnligkeit dieser Sache empfunden/ zu welcher
dieses was er itzund für sich hat/ seinem Absehen
nach/ nicht wol gelangen kan. Dieses geschiehet
nun gleichfals auch in den gleichen Sachen. Dann
es ist leicht zu schliessen/ daß dieses/ was wir gleiche
nennen/ und was wir hier durch die gleichen Sa-
chen erkennet/ ja welches etwas höhers als sie ist/
und zu dero Vollkommenheit alle Sachen zu kom-
men bemühet stehen/ ohne allen Zweiffel etwas seyn
müsse/ so uns zuvor im Geiste beygewohnet/ welches
wir aber itzund durch nichts als durch die eusserli-
chen Sinnen/ nemlich Gesichte/ Gehöre und Fühle
haben erkennen können.
Simias.
Man muß doch auch sehen/ ob das jenige/ dessen
wir itzund gedacht/ sich in allen dergestalt verhalte.
Und was das Vermögen der eusserlichen Sinnen be-
trift/ ob alle die Dinge/ so ihnen unterworffen/ nach
Gleichheit streben/ ob sie schon nicht so weit gelangen
können? Es ist nicht anders/ antwortete Socrates/
denn ehe wir zu sehen/ zu hören/ und uns anderer
Sin-
Der ſterbende
Muͤſſen wir nicht bekennen/ daß wañ ein Menſch/
ſo eine Sache genauer beſchauet/ und betrachtet/
welcher etwan/ einer andern gemaͤß zu ſeyn begeh-
ret/ und nun gewiß verſpuͤhret/ daß das jenige/ ſo
er in ſeinem Willen zu ſolcher Beſchaffenheit brin-
gen wil/ gantz mangelhafft und entfernet iſt/ noth-
wendig daraus folgen muͤſte/ daß er etwan zuvor ei-
ne Aehnligkeit dieſer Sache empfunden/ zu welcher
dieſes was er itzund fuͤr ſich hat/ ſeinem Abſehen
nach/ nicht wol gelangen kan. Dieſes geſchiehet
nun gleichfals auch in den gleichen Sachen. Dann
es iſt leicht zu ſchlieſſen/ daß dieſes/ was wir gleiche
nennen/ und was wir hier durch die gleichen Sa-
chen erkennet/ ja welches etwas hoͤhers als ſie iſt/
und zu dero Vollkommenheit alle Sachen zu kom-
men bemuͤhet ſtehen/ ohne allen Zweiffel etwas ſeyn
muͤſſe/ ſo uns zuvor im Geiſte beygewohnet/ welches
wir aber itzund durch nichts als durch die euſſerli-
chen Sinnen/ nemlich Geſichte/ Gehoͤre und Fuͤhle
haben erkennen koͤnnen.
Simias.
Man muß doch auch ſehen/ ob das jenige/ deſſen
wir itzund gedacht/ ſich in allen dergeſtalt verhalte.
Und was das Vermoͤgen der euſſerlichen Siñen be-
trift/ ob alle die Dinge/ ſo ihnen unterworffen/ nach
Gleichheit ſtreben/ ob ſie ſchon nicht ſo weit gelangẽ
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denn ehe wir zu ſehen/ zu hoͤren/ und uns anderer
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[40/0298] Der ſterbende Muͤſſen wir nicht bekennen/ daß wañ ein Menſch/ ſo eine Sache genauer beſchauet/ und betrachtet/ welcher etwan/ einer andern gemaͤß zu ſeyn begeh- ret/ und nun gewiß verſpuͤhret/ daß das jenige/ ſo er in ſeinem Willen zu ſolcher Beſchaffenheit brin- gen wil/ gantz mangelhafft und entfernet iſt/ noth- wendig daraus folgen muͤſte/ daß er etwan zuvor ei- ne Aehnligkeit dieſer Sache empfunden/ zu welcher dieſes was er itzund fuͤr ſich hat/ ſeinem Abſehen nach/ nicht wol gelangen kan. Dieſes geſchiehet nun gleichfals auch in den gleichen Sachen. Dann es iſt leicht zu ſchlieſſen/ daß dieſes/ was wir gleiche nennen/ und was wir hier durch die gleichen Sa- chen erkennet/ ja welches etwas hoͤhers als ſie iſt/ und zu dero Vollkommenheit alle Sachen zu kom- men bemuͤhet ſtehen/ ohne allen Zweiffel etwas ſeyn muͤſſe/ ſo uns zuvor im Geiſte beygewohnet/ welches wir aber itzund durch nichts als durch die euſſerli- chen Sinnen/ nemlich Geſichte/ Gehoͤre und Fuͤhle haben erkennen koͤnnen. Simias. Man muß doch auch ſehen/ ob das jenige/ deſſen wir itzund gedacht/ ſich in allen dergeſtalt verhalte. Und was das Vermoͤgen der euſſerlichen Siñen be- trift/ ob alle die Dinge/ ſo ihnen unterworffen/ nach Gleichheit ſtreben/ ob ſie ſchon nicht ſo weit gelangẽ koͤnnen? Es iſt nicht anders/ antwortete Socrates/ denn ehe wir zu ſehen/ zu hoͤren/ und uns anderer Sin-

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Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/298>, abgerufen am 24.11.2024.