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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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Allem zufrieden stellte. Er lebt nicht mehr in und
mit den Freuden der Natur, die bis dahin aus jedem
Blümchen, aus jedes Vogels Kehle auf ihn wirkten.
Er weiß, daß es draußen eine Welt für ihn giebt,
deshalb hat er die kleine Welt, die ihm so lange
genügen wollte, nicht mehr recht lieb.

O, man braucht nicht Anton zu heißen; braucht
kein Korbmacherjunge zu sein, um sich ähnlicher Ueber-
gänge und trauriger Fortschritte aus eigener Jugend-
zeit zu erinnern; da schleichen Tage ohne Gegenwart
an einem sich selbst quälenden Träumer vorüber, weil
sein Sinn auf eine unerforschliche Zukunft gerichtet ist
und so betrügt er sich grausam um das Glück harm-
loser Unschuld. Ein Glück, nach dessen Reinheit er
künftig mit verzehrender Sehnsucht zurückschauen
wird. -- Warum auch hat die Großmutter seinen
Bitten nachgegeben? Warum die Geschichte seiner
Mutter ihm erzählt? Konnte sie nicht in frommer
Einfalt ihn schonen mit einer Lüge?

Und so sehen wir den jugendlichen Helden unseres
Buches unglücklich, bevor er noch einen Schritt gethan
in das große Unglück hinaus, welches man Leben
nennt; in den ewigen Kampf der Menschheit. Sehen
ihn unglücklich auf eigene Hand und durch eigenes

Allem zufrieden ſtellte. Er lebt nicht mehr in und
mit den Freuden der Natur, die bis dahin aus jedem
Bluͤmchen, aus jedes Vogels Kehle auf ihn wirkten.
Er weiß, daß es draußen eine Welt fuͤr ihn giebt,
deshalb hat er die kleine Welt, die ihm ſo lange
genuͤgen wollte, nicht mehr recht lieb.

O, man braucht nicht Anton zu heißen; braucht
kein Korbmacherjunge zu ſein, um ſich aͤhnlicher Ueber-
gaͤnge und trauriger Fortſchritte aus eigener Jugend-
zeit zu erinnern; da ſchleichen Tage ohne Gegenwart
an einem ſich ſelbſt quaͤlenden Traͤumer voruͤber, weil
ſein Sinn auf eine unerforſchliche Zukunft gerichtet iſt
und ſo betruͤgt er ſich grauſam um das Gluͤck harm-
loſer Unſchuld. Ein Gluͤck, nach deſſen Reinheit er
kuͤnftig mit verzehrender Sehnſucht zuruͤckſchauen
wird. — Warum auch hat die Großmutter ſeinen
Bitten nachgegeben? Warum die Geſchichte ſeiner
Mutter ihm erzaͤhlt? Konnte ſie nicht in frommer
Einfalt ihn ſchonen mit einer Luͤge?

Und ſo ſehen wir den jugendlichen Helden unſeres
Buches ungluͤcklich, bevor er noch einen Schritt gethan
in das große Ungluͤck hinaus, welches man Leben
nennt; in den ewigen Kampf der Menſchheit. Sehen
ihn ungluͤcklich auf eigene Hand und durch eigenes

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[86/0102] Allem zufrieden ſtellte. Er lebt nicht mehr in und mit den Freuden der Natur, die bis dahin aus jedem Bluͤmchen, aus jedes Vogels Kehle auf ihn wirkten. Er weiß, daß es draußen eine Welt fuͤr ihn giebt, deshalb hat er die kleine Welt, die ihm ſo lange genuͤgen wollte, nicht mehr recht lieb. O, man braucht nicht Anton zu heißen; braucht kein Korbmacherjunge zu ſein, um ſich aͤhnlicher Ueber- gaͤnge und trauriger Fortſchritte aus eigener Jugend- zeit zu erinnern; da ſchleichen Tage ohne Gegenwart an einem ſich ſelbſt quaͤlenden Traͤumer voruͤber, weil ſein Sinn auf eine unerforſchliche Zukunft gerichtet iſt und ſo betruͤgt er ſich grauſam um das Gluͤck harm- loſer Unſchuld. Ein Gluͤck, nach deſſen Reinheit er kuͤnftig mit verzehrender Sehnſucht zuruͤckſchauen wird. — Warum auch hat die Großmutter ſeinen Bitten nachgegeben? Warum die Geſchichte ſeiner Mutter ihm erzaͤhlt? Konnte ſie nicht in frommer Einfalt ihn ſchonen mit einer Luͤge? Und ſo ſehen wir den jugendlichen Helden unſeres Buches ungluͤcklich, bevor er noch einen Schritt gethan in das große Ungluͤck hinaus, welches man Leben nennt; in den ewigen Kampf der Menſchheit. Sehen ihn ungluͤcklich auf eigene Hand und durch eigenes

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/102>, abgerufen am 21.11.2024.