Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Talent dafür; denn es giebt ein Talent für's Unglück-
lichsein! Wer sich Zeit nehmen will, es auszubilden,
versinkt, wenn er auf geistige Beschäftigung ange-
wiesen ist und diese sich abzuzwingen nicht moralische
Kraft besitzt, gar leicht in hypochondrische Unthätig-
keit, oder in verzweifelnde Ausschweifungen, die ihn
dem Untergange zuführen. Anton genoß den Vor-
theil, ein Handwerk zu treiben; er wurde, nachdem
die sanfte, kindliche Lust am Dasein ihn verlassen,
durch die öde Leere, worin er sich plötzlich geworfen
fühlte, nur veranlaßt, in die Arbeit sich zu retten. Es
war ein dunkler Trieb, der ihn dazu drängte. Nie-
mals noch waren seine Kunden rascher bedient worden.
Von allen Seiten empfing er Lobsprüche für solchen
Fleiß; auch der Großmutter Anerkennung blieb nicht
aus. Manchmal, wenn er einen ganzen Kreis aus-
zubessernder Körbe und Wagenflechten um sich her
stehen sah, rief er aus: das sind meine Schanzen!
Nun sollen sie nur kommen und auf mich schießen,
ich will mich schon vertheidigen!

Mutter Goksch verstand diesen Ausruf nicht. Ach
Gott, Anton selbst verstand ihn nicht; er sprudelte
ihn nur so heraus, wie in Ahnung vor irgend einem
drohenden Mißgeschick. Weil er ihn aber öfters wie-

Talent dafuͤr; denn es giebt ein Talent fuͤr’s Ungluͤck-
lichſein! Wer ſich Zeit nehmen will, es auszubilden,
verſinkt, wenn er auf geiſtige Beſchaͤftigung ange-
wieſen iſt und dieſe ſich abzuzwingen nicht moraliſche
Kraft beſitzt, gar leicht in hypochondriſche Unthaͤtig-
keit, oder in verzweifelnde Ausſchweifungen, die ihn
dem Untergange zufuͤhren. Anton genoß den Vor-
theil, ein Handwerk zu treiben; er wurde, nachdem
die ſanfte, kindliche Luſt am Daſein ihn verlaſſen,
durch die oͤde Leere, worin er ſich ploͤtzlich geworfen
fuͤhlte, nur veranlaßt, in die Arbeit ſich zu retten. Es
war ein dunkler Trieb, der ihn dazu draͤngte. Nie-
mals noch waren ſeine Kunden raſcher bedient worden.
Von allen Seiten empfing er Lobſpruͤche fuͤr ſolchen
Fleiß; auch der Großmutter Anerkennung blieb nicht
aus. Manchmal, wenn er einen ganzen Kreis aus-
zubeſſernder Koͤrbe und Wagenflechten um ſich her
ſtehen ſah, rief er aus: das ſind meine Schanzen!
Nun ſollen ſie nur kommen und auf mich ſchießen,
ich will mich ſchon vertheidigen!

Mutter Gokſch verſtand dieſen Ausruf nicht. Ach
Gott, Anton ſelbſt verſtand ihn nicht; er ſprudelte
ihn nur ſo heraus, wie in Ahnung vor irgend einem
drohenden Mißgeſchick. Weil er ihn aber oͤfters wie-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0103" n="87"/>
Talent dafu&#x0364;r; denn es giebt ein Talent fu&#x0364;r&#x2019;s Unglu&#x0364;ck-<lb/>
lich&#x017F;ein! Wer &#x017F;ich Zeit nehmen will, es auszubilden,<lb/>
ver&#x017F;inkt, wenn er auf gei&#x017F;tige Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung ange-<lb/>
wie&#x017F;en i&#x017F;t und die&#x017F;e &#x017F;ich abzuzwingen nicht morali&#x017F;che<lb/>
Kraft be&#x017F;itzt, gar leicht in hypochondri&#x017F;che Untha&#x0364;tig-<lb/>
keit, oder in verzweifelnde Aus&#x017F;chweifungen, die ihn<lb/>
dem Untergange zufu&#x0364;hren. Anton genoß den Vor-<lb/>
theil, ein Handwerk zu treiben; er wurde, nachdem<lb/>
die &#x017F;anfte, kindliche Lu&#x017F;t am Da&#x017F;ein ihn verla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
durch die o&#x0364;de Leere, worin er &#x017F;ich plo&#x0364;tzlich geworfen<lb/>
fu&#x0364;hlte, nur veranlaßt, in die Arbeit &#x017F;ich zu retten. Es<lb/>
war ein dunkler Trieb, der ihn dazu dra&#x0364;ngte. Nie-<lb/>
mals noch waren &#x017F;eine Kunden ra&#x017F;cher bedient worden.<lb/>
Von allen Seiten empfing er Lob&#x017F;pru&#x0364;che fu&#x0364;r &#x017F;olchen<lb/>
Fleiß; auch der Großmutter Anerkennung blieb nicht<lb/>
aus. Manchmal, wenn er einen ganzen Kreis aus-<lb/>
zube&#x017F;&#x017F;ernder Ko&#x0364;rbe und Wagenflechten um &#x017F;ich her<lb/>
&#x017F;tehen &#x017F;ah, rief er aus: das &#x017F;ind meine Schanzen!<lb/>
Nun &#x017F;ollen &#x017F;ie nur kommen und auf mich &#x017F;chießen,<lb/>
ich will mich &#x017F;chon vertheidigen!</p><lb/>
        <p>Mutter Gok&#x017F;ch ver&#x017F;tand die&#x017F;en Ausruf nicht. Ach<lb/>
Gott, Anton &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tand ihn nicht; er &#x017F;prudelte<lb/>
ihn nur &#x017F;o heraus, wie in Ahnung vor irgend einem<lb/>
drohenden Mißge&#x017F;chick. Weil er ihn aber o&#x0364;fters wie-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0103] Talent dafuͤr; denn es giebt ein Talent fuͤr’s Ungluͤck- lichſein! Wer ſich Zeit nehmen will, es auszubilden, verſinkt, wenn er auf geiſtige Beſchaͤftigung ange- wieſen iſt und dieſe ſich abzuzwingen nicht moraliſche Kraft beſitzt, gar leicht in hypochondriſche Unthaͤtig- keit, oder in verzweifelnde Ausſchweifungen, die ihn dem Untergange zufuͤhren. Anton genoß den Vor- theil, ein Handwerk zu treiben; er wurde, nachdem die ſanfte, kindliche Luſt am Daſein ihn verlaſſen, durch die oͤde Leere, worin er ſich ploͤtzlich geworfen fuͤhlte, nur veranlaßt, in die Arbeit ſich zu retten. Es war ein dunkler Trieb, der ihn dazu draͤngte. Nie- mals noch waren ſeine Kunden raſcher bedient worden. Von allen Seiten empfing er Lobſpruͤche fuͤr ſolchen Fleiß; auch der Großmutter Anerkennung blieb nicht aus. Manchmal, wenn er einen ganzen Kreis aus- zubeſſernder Koͤrbe und Wagenflechten um ſich her ſtehen ſah, rief er aus: das ſind meine Schanzen! Nun ſollen ſie nur kommen und auf mich ſchießen, ich will mich ſchon vertheidigen! Mutter Gokſch verſtand dieſen Ausruf nicht. Ach Gott, Anton ſelbſt verſtand ihn nicht; er ſprudelte ihn nur ſo heraus, wie in Ahnung vor irgend einem drohenden Mißgeſchick. Weil er ihn aber oͤfters wie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/103
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/103>, abgerufen am 24.11.2024.