Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

freie Hunde dieselbe allerdings häufig einzunehmen
pflegen, wie man sie aber bei offener Scene nicht zu
sehen gewöhnt ist. Er vergaß -- was so manchem
Künstler geschieht, -- den Charakter seiner Rolle als
Hirschkuh und fiel gänzlich in den Hund zurück. Die
Thränen, welche dem rührenden Schauspiele zu Ehren
aus den Augen reichlich versammelter Zuschauer
strömten, würden durch Waldmanns Beitrag zum
Ensemble wahrscheinlich gehemmt worden sein, wenn
nicht Samuel-Siegfried so viel Fassung gewonnen
hätte, seinen pfälzgräflichen linken Fuß aus der
Gruppe, in die er sammt Gattin und Kind verschlun-
gen stand, momentan zu lösen und den rücksichtslosen
Jmprovisator in dieselbe Kulisse, die dieser eben ent-
weihete, tief hinein zu schleudern. Der Effekt des
Drama's war gerettet, -- aber Waldmann hatte aus-
gerungen; sein erster Auftritt auf die Bühne war sein
letzter für's Leben geworden. Der Gastwirth machte
nicht viel Aufhebens davon; denn, meinte er, ich hätt'
ihn ja doch todtschlagen lassen müssen; er war schon
zu "infallied."

Das Schauspiel hatte eine gute Stunde gedauert;
nicht länger. Möchten sich manche Bühnendichter an
solch' gediegener Kürze ein Beispiel nehmen.

freie Hunde dieſelbe allerdings haͤufig einzunehmen
pflegen, wie man ſie aber bei offener Scene nicht zu
ſehen gewoͤhnt iſt. Er vergaß — was ſo manchem
Kuͤnſtler geſchieht, — den Charakter ſeiner Rolle als
Hirſchkuh und fiel gaͤnzlich in den Hund zuruͤck. Die
Thraͤnen, welche dem ruͤhrenden Schauſpiele zu Ehren
aus den Augen reichlich verſammelter Zuſchauer
ſtroͤmten, wuͤrden durch Waldmanns Beitrag zum
Enſemble wahrſcheinlich gehemmt worden ſein, wenn
nicht Samuel-Siegfried ſo viel Faſſung gewonnen
haͤtte, ſeinen pfaͤlzgraͤflichen linken Fuß aus der
Gruppe, in die er ſammt Gattin und Kind verſchlun-
gen ſtand, momentan zu loͤſen und den ruͤckſichtsloſen
Jmproviſator in dieſelbe Kuliſſe, die dieſer eben ent-
weihete, tief hinein zu ſchleudern. Der Effekt des
Drama’s war gerettet, — aber Waldmann hatte aus-
gerungen; ſein erſter Auftritt auf die Buͤhne war ſein
letzter fuͤr’s Leben geworden. Der Gaſtwirth machte
nicht viel Aufhebens davon; denn, meinte er, ich haͤtt’
ihn ja doch todtſchlagen laſſen muͤſſen; er war ſchon
zu „infallied.“

Das Schauſpiel hatte eine gute Stunde gedauert;
nicht laͤnger. Moͤchten ſich manche Buͤhnendichter an
ſolch’ gediegener Kuͤrze ein Beiſpiel nehmen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0122" n="106"/>
freie Hunde die&#x017F;elbe allerdings ha&#x0364;ufig einzunehmen<lb/>
pflegen, wie man &#x017F;ie aber bei offener Scene nicht zu<lb/>
&#x017F;ehen gewo&#x0364;hnt i&#x017F;t. Er vergaß &#x2014; was &#x017F;o manchem<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler ge&#x017F;chieht, &#x2014; den Charakter &#x017F;einer Rolle als<lb/>
Hir&#x017F;chkuh und fiel ga&#x0364;nzlich in den Hund zuru&#x0364;ck. Die<lb/>
Thra&#x0364;nen, welche dem ru&#x0364;hrenden Schau&#x017F;piele zu Ehren<lb/>
aus den Augen reichlich ver&#x017F;ammelter Zu&#x017F;chauer<lb/>
&#x017F;tro&#x0364;mten, wu&#x0364;rden durch Waldmanns Beitrag zum<lb/>
En&#x017F;emble wahr&#x017F;cheinlich gehemmt worden &#x017F;ein, wenn<lb/>
nicht Samuel-Siegfried &#x017F;o viel Fa&#x017F;&#x017F;ung gewonnen<lb/>
ha&#x0364;tte, &#x017F;einen pfa&#x0364;lzgra&#x0364;flichen linken Fuß aus der<lb/>
Gruppe, in die er &#x017F;ammt Gattin und Kind ver&#x017F;chlun-<lb/>
gen &#x017F;tand, momentan zu lo&#x0364;&#x017F;en und den ru&#x0364;ck&#x017F;ichtslo&#x017F;en<lb/>
Jmprovi&#x017F;ator in die&#x017F;elbe Kuli&#x017F;&#x017F;e, die die&#x017F;er eben ent-<lb/>
weihete, tief hinein zu &#x017F;chleudern. Der Effekt des<lb/>
Drama&#x2019;s war gerettet, &#x2014; aber Waldmann hatte aus-<lb/>
gerungen; &#x017F;ein er&#x017F;ter Auftritt auf die Bu&#x0364;hne war &#x017F;ein<lb/>
letzter fu&#x0364;r&#x2019;s Leben geworden. Der Ga&#x017F;twirth machte<lb/>
nicht viel Aufhebens davon; denn, meinte er, ich ha&#x0364;tt&#x2019;<lb/>
ihn ja doch todt&#x017F;chlagen la&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; er war &#x017F;chon<lb/>
zu &#x201E;infallied.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das Schau&#x017F;piel hatte eine gute Stunde gedauert;<lb/>
nicht la&#x0364;nger. Mo&#x0364;chten &#x017F;ich manche Bu&#x0364;hnendichter an<lb/>
&#x017F;olch&#x2019; gediegener Ku&#x0364;rze ein Bei&#x017F;piel nehmen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0122] freie Hunde dieſelbe allerdings haͤufig einzunehmen pflegen, wie man ſie aber bei offener Scene nicht zu ſehen gewoͤhnt iſt. Er vergaß — was ſo manchem Kuͤnſtler geſchieht, — den Charakter ſeiner Rolle als Hirſchkuh und fiel gaͤnzlich in den Hund zuruͤck. Die Thraͤnen, welche dem ruͤhrenden Schauſpiele zu Ehren aus den Augen reichlich verſammelter Zuſchauer ſtroͤmten, wuͤrden durch Waldmanns Beitrag zum Enſemble wahrſcheinlich gehemmt worden ſein, wenn nicht Samuel-Siegfried ſo viel Faſſung gewonnen haͤtte, ſeinen pfaͤlzgraͤflichen linken Fuß aus der Gruppe, in die er ſammt Gattin und Kind verſchlun- gen ſtand, momentan zu loͤſen und den ruͤckſichtsloſen Jmproviſator in dieſelbe Kuliſſe, die dieſer eben ent- weihete, tief hinein zu ſchleudern. Der Effekt des Drama’s war gerettet, — aber Waldmann hatte aus- gerungen; ſein erſter Auftritt auf die Buͤhne war ſein letzter fuͤr’s Leben geworden. Der Gaſtwirth machte nicht viel Aufhebens davon; denn, meinte er, ich haͤtt’ ihn ja doch todtſchlagen laſſen muͤſſen; er war ſchon zu „infallied.“ Das Schauſpiel hatte eine gute Stunde gedauert; nicht laͤnger. Moͤchten ſich manche Buͤhnendichter an ſolch’ gediegener Kuͤrze ein Beiſpiel nehmen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/122
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/122>, abgerufen am 21.11.2024.