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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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Die Landleute zerstreuten sich bald. Bier und
Schnaps hatten sie schon während der Darstellung
genossen, nicht minder ihr Pfeifchen geraucht; ganz
wie man es jetzt, zu Zeiten unserer geistigen Fort-
schritte in großstädtischen Sommertheatern zu thun
liebt. Am nächsten Morgen hieß es zeitig aufstehen!
Sie gingen also gleichgültig von dannen. Hier und
da hörte man eine weibliche Stimme ausrufen: wun-
derschön haben sie's gemacht! Damit war Alles gesagt
und vergessen.

Aber Anton!?

Zwar hatten sich unter den mancherlei "Lese-
büchern", die er vom Schlosse dargeliehen erhalten,
auch bisweilen ältere Schauspiele befunden. Diese
waren von ihm mit lebhafter Theilnahme durchflogen
worden. Auch war seiner stets aufmerksamen Wiß-
begier der Unterschied zwischen Erzählung und Drama
keinesweges entgangen und die fesselnde Handlung
einiger Stücke hatte ihn beängstigend ergriffen. Nie-
mals jedoch war ihm der Gedanke klar zum Bewußt-
sein gekommen, daß derlei Werke in der Absicht ge-
schrieben würden, von Menschen leibhaftig versinnlicht
zu werden. Nun trat ihm eine solche allerdings ver-
stümmelte, in erbärmlicher Sprache abgefaßte und

Die Landleute zerſtreuten ſich bald. Bier und
Schnaps hatten ſie ſchon waͤhrend der Darſtellung
genoſſen, nicht minder ihr Pfeifchen geraucht; ganz
wie man es jetzt, zu Zeiten unſerer geiſtigen Fort-
ſchritte in großſtaͤdtiſchen Sommertheatern zu thun
liebt. Am naͤchſten Morgen hieß es zeitig aufſtehen!
Sie gingen alſo gleichguͤltig von dannen. Hier und
da hoͤrte man eine weibliche Stimme ausrufen: wun-
derſchoͤn haben ſie’s gemacht! Damit war Alles geſagt
und vergeſſen.

Aber Anton!?

Zwar hatten ſich unter den mancherlei „Leſe-
buͤchern“, die er vom Schloſſe dargeliehen erhalten,
auch bisweilen aͤltere Schauſpiele befunden. Dieſe
waren von ihm mit lebhafter Theilnahme durchflogen
worden. Auch war ſeiner ſtets aufmerkſamen Wiß-
begier der Unterſchied zwiſchen Erzaͤhlung und Drama
keinesweges entgangen und die feſſelnde Handlung
einiger Stuͤcke hatte ihn beaͤngſtigend ergriffen. Nie-
mals jedoch war ihm der Gedanke klar zum Bewußt-
ſein gekommen, daß derlei Werke in der Abſicht ge-
ſchrieben wuͤrden, von Menſchen leibhaftig verſinnlicht
zu werden. Nun trat ihm eine ſolche allerdings ver-
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[107/0123] Die Landleute zerſtreuten ſich bald. Bier und Schnaps hatten ſie ſchon waͤhrend der Darſtellung genoſſen, nicht minder ihr Pfeifchen geraucht; ganz wie man es jetzt, zu Zeiten unſerer geiſtigen Fort- ſchritte in großſtaͤdtiſchen Sommertheatern zu thun liebt. Am naͤchſten Morgen hieß es zeitig aufſtehen! Sie gingen alſo gleichguͤltig von dannen. Hier und da hoͤrte man eine weibliche Stimme ausrufen: wun- derſchoͤn haben ſie’s gemacht! Damit war Alles geſagt und vergeſſen. Aber Anton!? Zwar hatten ſich unter den mancherlei „Leſe- buͤchern“, die er vom Schloſſe dargeliehen erhalten, auch bisweilen aͤltere Schauſpiele befunden. Dieſe waren von ihm mit lebhafter Theilnahme durchflogen worden. Auch war ſeiner ſtets aufmerkſamen Wiß- begier der Unterſchied zwiſchen Erzaͤhlung und Drama keinesweges entgangen und die feſſelnde Handlung einiger Stuͤcke hatte ihn beaͤngſtigend ergriffen. Nie- mals jedoch war ihm der Gedanke klar zum Bewußt- ſein gekommen, daß derlei Werke in der Abſicht ge- ſchrieben wuͤrden, von Menſchen leibhaftig verſinnlicht zu werden. Nun trat ihm eine ſolche allerdings ver- ſtuͤmmelte, in erbaͤrmlicher Sprache abgefaßte und

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/123>, abgerufen am 21.11.2024.