eben so unrichtig vorgetragene, nichts desto weniger in ihrer ewig poetischen Grundlage unverwüstliche Dichtung vor's leibliche Auge, nahm Form und Ge- staltung vor ihm an und ließ ihn in raschem Fort- gange des beibehaltenen, ursprünglich meisterhaften Scenenbaues den theilweis' albernen, fast gemeinen Dialog vergessen, dessen Mangelhaftigkeit ihm sonst gewiß nicht entgangen sein würde. Dazu bewegte sich Bärbel wirklich schön und edel, sah bezaubernd aus, so daß sie in ihm, neben schuldigem Mitleid für ein grausam verstoßenes Weib, nicht minder Gefühle ganz entgegengesetzter Gattung erweckte; von denen er zwar nicht verstand, sich Rechenschaft abzulegen, die aber mit jenen des verbrecherischen Golo ein wenig harmonirten.
Und dieser Golo! Kein Zweifel mehr: es war der Ausrufer mit der Trommel, war der Herold der Ko- mödianten, war der schwarze Wolfgang im abentheuer- lichsten Putze, welcher ihn sehr gut kleidete.
Wolfgang, der Vagabund nachbarlicher Kirch- spiele ist unter die Schauspieler gegangen!? -- Wie war er darauf gerathen, wie dazu gelangt? Wie hatt' er erreicht binnen kaum zwei Monaten so viel Uebung zu gewinnen, daß er neben Samuel und Bärbel sich
eben ſo unrichtig vorgetragene, nichts deſto weniger in ihrer ewig poetiſchen Grundlage unverwuͤſtliche Dichtung vor’s leibliche Auge, nahm Form und Ge- ſtaltung vor ihm an und ließ ihn in raſchem Fort- gange des beibehaltenen, urſpruͤnglich meiſterhaften Scenenbaues den theilweiſ’ albernen, faſt gemeinen Dialog vergeſſen, deſſen Mangelhaftigkeit ihm ſonſt gewiß nicht entgangen ſein wuͤrde. Dazu bewegte ſich Baͤrbel wirklich ſchoͤn und edel, ſah bezaubernd aus, ſo daß ſie in ihm, neben ſchuldigem Mitleid fuͤr ein grauſam verſtoßenes Weib, nicht minder Gefuͤhle ganz entgegengeſetzter Gattung erweckte; von denen er zwar nicht verſtand, ſich Rechenſchaft abzulegen, die aber mit jenen des verbrecheriſchen Golo ein wenig harmonirten.
Und dieſer Golo! Kein Zweifel mehr: es war der Ausrufer mit der Trommel, war der Herold der Ko- moͤdianten, war der ſchwarze Wolfgang im abentheuer- lichſten Putze, welcher ihn ſehr gut kleidete.
Wolfgang, der Vagabund nachbarlicher Kirch- ſpiele iſt unter die Schauſpieler gegangen!? — Wie war er darauf gerathen, wie dazu gelangt? Wie hatt’ er erreicht binnen kaum zwei Monaten ſo viel Uebung zu gewinnen, daß er neben Samuel und Baͤrbel ſich
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eben ſo unrichtig vorgetragene, nichts deſto weniger
in ihrer ewig poetiſchen Grundlage unverwuͤſtliche
Dichtung vor’s leibliche Auge, nahm Form und Ge-
ſtaltung vor ihm an und ließ ihn in raſchem Fort-
gange des beibehaltenen, urſpruͤnglich meiſterhaften
Scenenbaues den theilweiſ’ albernen, faſt gemeinen
Dialog vergeſſen, deſſen Mangelhaftigkeit ihm ſonſt
gewiß nicht entgangen ſein wuͤrde. Dazu bewegte
ſich Baͤrbel wirklich ſchoͤn und edel, ſah bezaubernd
aus, ſo daß ſie in ihm, neben ſchuldigem Mitleid fuͤr
ein grauſam verſtoßenes Weib, nicht minder Gefuͤhle
ganz entgegengeſetzter Gattung erweckte; von denen
er zwar nicht verſtand, ſich Rechenſchaft abzulegen,
die aber mit jenen des verbrecheriſchen Golo ein wenig
harmonirten.
Und dieſer Golo! Kein Zweifel mehr: es war der
Ausrufer mit der Trommel, war der Herold der Ko-
moͤdianten, war der ſchwarze Wolfgang im abentheuer-
lichſten Putze, welcher ihn ſehr gut kleidete.
Wolfgang, der Vagabund nachbarlicher Kirch-
ſpiele iſt unter die Schauſpieler gegangen!? — Wie
war er darauf gerathen, wie dazu gelangt? Wie hatt’
er erreicht binnen kaum zwei Monaten ſo viel Uebung
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/124>, abgerufen am 21.11.2024.
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