Anton war es endlich, der über Alle hervorragte und für die Zier des Festes gegolten haben könnte, wenn er nicht zurückgezogen und stumm in einem Winkel geblieben wäre. Daß er überhaupt blieb, nachdem das Landvolk sich entfernt, scheint seltsam genug. Jhm wäre so 'was auch nicht in den Sinn gekommen; vielmehr hatte er, als der lange Zug sich emsig durch die weitgeöffneten Flügelthüren in den Saal drängte, seinerseits standhaft sich gegen den Strom gestemmt, um draußen zu bleiben, unter den Aermsten, Geringsten, Schüchternsten der Gemeinde. Dort jedoch hatte Tieletunke's Blick ihn erspäht und sie war es, die ihn herein geholt, mit ihm zu tanzen, während alle übrigen Tänzerinnen die Robott des Tages an derbe Knechte abtrugen. Er tanzte so leicht und wußte dabei seine Tänzerin so sicher zu führen, daß sie mehr flogen, als tanzten. Ottilie kam in diesem Schweben dem auf ihren Sieg spekulirenden Vater dermaßen belebt und feurig vor, daß er sich von Dankbarkeit zu Anton gezogen fand, als welcher durch sein Geschick die Reize der sonst kalten Dame in helleres Licht zu stellen gewußt. Mit einer vom Mittagstische schon schwer gewordenen Zunge sprach er ihn in der gewöhnlichen Liebkosungsformel: "Na,
Anton war es endlich, der uͤber Alle hervorragte und fuͤr die Zier des Feſtes gegolten haben koͤnnte, wenn er nicht zuruͤckgezogen und ſtumm in einem Winkel geblieben waͤre. Daß er uͤberhaupt blieb, nachdem das Landvolk ſich entfernt, ſcheint ſeltſam genug. Jhm waͤre ſo ’was auch nicht in den Sinn gekommen; vielmehr hatte er, als der lange Zug ſich emſig durch die weitgeoͤffneten Fluͤgelthuͤren in den Saal draͤngte, ſeinerſeits ſtandhaft ſich gegen den Strom geſtemmt, um draußen zu bleiben, unter den Aermſten, Geringſten, Schuͤchternſten der Gemeinde. Dort jedoch hatte Tieletunke’s Blick ihn erſpaͤht und ſie war es, die ihn herein geholt, mit ihm zu tanzen, waͤhrend alle uͤbrigen Taͤnzerinnen die Robott des Tages an derbe Knechte abtrugen. Er tanzte ſo leicht und wußte dabei ſeine Taͤnzerin ſo ſicher zu fuͤhren, daß ſie mehr flogen, als tanzten. Ottilie kam in dieſem Schweben dem auf ihren Sieg ſpekulirenden Vater dermaßen belebt und feurig vor, daß er ſich von Dankbarkeit zu Anton gezogen fand, als welcher durch ſein Geſchick die Reize der ſonſt kalten Dame in helleres Licht zu ſtellen gewußt. Mit einer vom Mittagstiſche ſchon ſchwer gewordenen Zunge ſprach er ihn in der gewoͤhnlichen Liebkoſungsformel: „Na,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0148"n="132"/><p>Anton war es endlich, der uͤber Alle hervorragte<lb/>
und fuͤr die Zier des Feſtes gegolten haben koͤnnte,<lb/>
wenn er nicht zuruͤckgezogen und ſtumm in einem<lb/>
Winkel geblieben waͤre. Daß er uͤberhaupt <hirendition="#g">blieb,</hi><lb/>
nachdem das Landvolk ſich entfernt, ſcheint ſeltſam<lb/>
genug. Jhm waͤre ſo ’was auch nicht in den Sinn<lb/>
gekommen; vielmehr hatte er, als der lange Zug ſich<lb/>
emſig durch die weitgeoͤffneten Fluͤgelthuͤren in den<lb/>
Saal draͤngte, ſeinerſeits ſtandhaft ſich gegen den<lb/>
Strom geſtemmt, um draußen zu bleiben, unter den<lb/>
Aermſten, Geringſten, Schuͤchternſten der Gemeinde.<lb/>
Dort jedoch hatte Tieletunke’s Blick ihn erſpaͤht und<lb/>ſie war es, die ihn herein geholt, mit ihm zu tanzen,<lb/>
waͤhrend alle uͤbrigen Taͤnzerinnen die Robott des<lb/>
Tages an derbe Knechte abtrugen. Er tanzte ſo leicht<lb/>
und wußte dabei ſeine Taͤnzerin ſo ſicher zu fuͤhren,<lb/>
daß ſie mehr flogen, als tanzten. Ottilie kam in<lb/>
dieſem Schweben dem auf ihren Sieg ſpekulirenden<lb/>
Vater dermaßen belebt und feurig vor, daß er ſich<lb/>
von Dankbarkeit zu Anton gezogen fand, als welcher<lb/>
durch ſein Geſchick die Reize der ſonſt kalten Dame<lb/>
in helleres Licht zu ſtellen gewußt. Mit einer vom<lb/>
Mittagstiſche ſchon ſchwer gewordenen Zunge ſprach<lb/>
er ihn in der gewoͤhnlichen Liebkoſungsformel: „Na,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[132/0148]
Anton war es endlich, der uͤber Alle hervorragte
und fuͤr die Zier des Feſtes gegolten haben koͤnnte,
wenn er nicht zuruͤckgezogen und ſtumm in einem
Winkel geblieben waͤre. Daß er uͤberhaupt blieb,
nachdem das Landvolk ſich entfernt, ſcheint ſeltſam
genug. Jhm waͤre ſo ’was auch nicht in den Sinn
gekommen; vielmehr hatte er, als der lange Zug ſich
emſig durch die weitgeoͤffneten Fluͤgelthuͤren in den
Saal draͤngte, ſeinerſeits ſtandhaft ſich gegen den
Strom geſtemmt, um draußen zu bleiben, unter den
Aermſten, Geringſten, Schuͤchternſten der Gemeinde.
Dort jedoch hatte Tieletunke’s Blick ihn erſpaͤht und
ſie war es, die ihn herein geholt, mit ihm zu tanzen,
waͤhrend alle uͤbrigen Taͤnzerinnen die Robott des
Tages an derbe Knechte abtrugen. Er tanzte ſo leicht
und wußte dabei ſeine Taͤnzerin ſo ſicher zu fuͤhren,
daß ſie mehr flogen, als tanzten. Ottilie kam in
dieſem Schweben dem auf ihren Sieg ſpekulirenden
Vater dermaßen belebt und feurig vor, daß er ſich
von Dankbarkeit zu Anton gezogen fand, als welcher
durch ſein Geſchick die Reize der ſonſt kalten Dame
in helleres Licht zu ſtellen gewußt. Mit einer vom
Mittagstiſche ſchon ſchwer gewordenen Zunge ſprach
er ihn in der gewoͤhnlichen Liebkoſungsformel: „Na,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/148>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.