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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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hatten sie aus dem Städtischen in's Bäu'rische *)
übersetzt. -- Doch von wem konnte dieses Schreiben
kommen? Wichtig mußte es sein! -- Die alte Frau
war damit in's Haus geflohen, um es allein, unge-
stört zu eröffnen und in ihrer Miene hatte etwas ge-
legen, wodurch ihm gewissermaßen untersagt wurde,
zu folgen, oder ungestüme Fragen zu thun! -- Auch
mußte sie die Handschrift erkennen, oder zu erkennen
glauben, sonst hätte sie nicht so viel Geld daran ge-
wagt, das Schreiben einzulösen. -- Es rührte dem-
nach von einer theuern Person her? -- Und lebte denn
der alten Frau, außer Anton, noch eine solche? --
Wo lebte sie? -- Anton glaubte doch der Großmutter
Lebenslauf genau zu kennen? -- Sie besaß ja keine
Anverwandte mehr! All' die Jhrigen waren ja todt!
Alle!! --

Er erschöpfte sich in leeren Muthmaßungen; je
länger er grübelte, desto ungeduldiger ward er. Doch
ihre Einsamkeit zu stören, hätt' er niemals gewagt.
Lieber blieb er draußen, bis die Nacht mit ihrer Kühle
ihn umgab. Es fröstelte ihn. Der Herbst begann
seine Rechte geltend zu machen. Anton gedachte des

*) Jn manchen Gegenden nennt man den Haushahn:
Goksch.

hatten ſie aus dem Staͤdtiſchen in’s Baͤu’riſche *)
uͤberſetzt. — Doch von wem konnte dieſes Schreiben
kommen? Wichtig mußte es ſein! — Die alte Frau
war damit in’s Haus geflohen, um es allein, unge-
ſtoͤrt zu eroͤffnen und in ihrer Miene hatte etwas ge-
legen, wodurch ihm gewiſſermaßen unterſagt wurde,
zu folgen, oder ungeſtuͤme Fragen zu thun! — Auch
mußte ſie die Handſchrift erkennen, oder zu erkennen
glauben, ſonſt haͤtte ſie nicht ſo viel Geld daran ge-
wagt, das Schreiben einzuloͤſen. — Es ruͤhrte dem-
nach von einer theuern Perſon her? — Und lebte denn
der alten Frau, außer Anton, noch eine ſolche? —
Wo lebte ſie? — Anton glaubte doch der Großmutter
Lebenslauf genau zu kennen? — Sie beſaß ja keine
Anverwandte mehr! All’ die Jhrigen waren ja todt!
Alle!! —

Er erſchoͤpfte ſich in leeren Muthmaßungen; je
laͤnger er gruͤbelte, deſto ungeduldiger ward er. Doch
ihre Einſamkeit zu ſtoͤren, haͤtt’ er niemals gewagt.
Lieber blieb er draußen, bis die Nacht mit ihrer Kuͤhle
ihn umgab. Es froͤſtelte ihn. Der Herbſt begann
ſeine Rechte geltend zu machen. Anton gedachte des

*) Jn manchen Gegenden nennt man den Haushahn:
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[183/0199] hatten ſie aus dem Staͤdtiſchen in’s Baͤu’riſche *) uͤberſetzt. — Doch von wem konnte dieſes Schreiben kommen? Wichtig mußte es ſein! — Die alte Frau war damit in’s Haus geflohen, um es allein, unge- ſtoͤrt zu eroͤffnen und in ihrer Miene hatte etwas ge- legen, wodurch ihm gewiſſermaßen unterſagt wurde, zu folgen, oder ungeſtuͤme Fragen zu thun! — Auch mußte ſie die Handſchrift erkennen, oder zu erkennen glauben, ſonſt haͤtte ſie nicht ſo viel Geld daran ge- wagt, das Schreiben einzuloͤſen. — Es ruͤhrte dem- nach von einer theuern Perſon her? — Und lebte denn der alten Frau, außer Anton, noch eine ſolche? — Wo lebte ſie? — Anton glaubte doch der Großmutter Lebenslauf genau zu kennen? — Sie beſaß ja keine Anverwandte mehr! All’ die Jhrigen waren ja todt! Alle!! — Er erſchoͤpfte ſich in leeren Muthmaßungen; je laͤnger er gruͤbelte, deſto ungeduldiger ward er. Doch ihre Einſamkeit zu ſtoͤren, haͤtt’ er niemals gewagt. Lieber blieb er draußen, bis die Nacht mit ihrer Kuͤhle ihn umgab. Es froͤſtelte ihn. Der Herbſt begann ſeine Rechte geltend zu machen. Anton gedachte des *) Jn manchen Gegenden nennt man den Haushahn: Gokſch.

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/199>, abgerufen am 24.11.2024.