verloren sich tief im kaum hörbaren Widerhall des Kieferwaldes, der die letzten Häuslein dieses Dorfes fast berührte. Anton nahm seine Kappe ab. Die Alte lispelte ein frommes Verslein. Und als sie fertig war mit ihrem kurzen Gebet, sagte Anton: Nun, Großmutter, beginne! Mir ist um's Herz, als hätten sie mit diesem Glockenzuge meine Mutter in's Grab gelegt. Laß mich wissen, wo der Hügel grünt, auf dem ich knieen darf, wenn ich mit ihr sprechen will?
Und die Mutter Goksch hub an:
Zweites Kapitel.
Wie die Großmutter auf Anton's inständiges Bitten ihm die Lebens-, Liebes- und Todesgeschichte seiner schönen Mutter erzählt.
"Dein Großvater, Anton, mein guter seeliger Mann, war Kantor und Schulrektor in N. Na, das weißt Du. Davon hab' ich Dir schon oft genug er- zählt; von unserem hübschen grünumlaubten Häus- chen hinter der Kirche, und wie er mich heimführte, als junge, schmucke Braut. Des Herrn Amtsdieners Tonel haben sie mich geheißen; denn mein Vater see- lig war Amtsdiener beim hohen Rath. Aber wie ich Hochzeit machte, war er schon lange todt; und meine Mutter folgte ihm bald nach meiner Verheirathung,
verloren ſich tief im kaum hoͤrbaren Widerhall des Kieferwaldes, der die letzten Haͤuslein dieſes Dorfes faſt beruͤhrte. Anton nahm ſeine Kappe ab. Die Alte lispelte ein frommes Verslein. Und als ſie fertig war mit ihrem kurzen Gebet, ſagte Anton: Nun, Großmutter, beginne! Mir iſt um’s Herz, als haͤtten ſie mit dieſem Glockenzuge meine Mutter in’s Grab gelegt. Laß mich wiſſen, wo der Huͤgel gruͤnt, auf dem ich knieen darf, wenn ich mit ihr ſprechen will?
Und die Mutter Gokſch hub an:
Zweites Kapitel.
Wie die Großmutter auf Anton’s inſtändiges Bitten ihm die Lebens-, Liebes- und Todesgeſchichte ſeiner ſchönen Mutter erzählt.
„Dein Großvater, Anton, mein guter ſeeliger Mann, war Kantor und Schulrektor in N. Na, das weißt Du. Davon hab’ ich Dir ſchon oft genug er- zaͤhlt; von unſerem huͤbſchen gruͤnumlaubten Haͤus- chen hinter der Kirche, und wie er mich heimfuͤhrte, als junge, ſchmucke Braut. Des Herrn Amtsdieners Tonel haben ſie mich geheißen; denn mein Vater ſee- lig war Amtsdiener beim hohen Rath. Aber wie ich Hochzeit machte, war er ſchon lange todt; und meine Mutter folgte ihm bald nach meiner Verheirathung,
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verloren ſich tief im kaum hoͤrbaren Widerhall des
Kieferwaldes, der die letzten Haͤuslein dieſes Dorfes
faſt beruͤhrte. Anton nahm ſeine Kappe ab. Die Alte
lispelte ein frommes Verslein. Und als ſie fertig
war mit ihrem kurzen Gebet, ſagte Anton: Nun,
Großmutter, beginne! Mir iſt um’s Herz, als haͤtten
ſie mit dieſem Glockenzuge meine Mutter in’s Grab
gelegt. Laß mich wiſſen, wo der Huͤgel gruͤnt, auf
dem ich knieen darf, wenn ich mit ihr ſprechen will?
Und die Mutter Gokſch hub an:
Zweites Kapitel.
Wie die Großmutter auf Anton’s inſtändiges Bitten ihm die Lebens-, Liebes-
und Todesgeſchichte ſeiner ſchönen Mutter erzählt.
„Dein Großvater, Anton, mein guter ſeeliger
Mann, war Kantor und Schulrektor in N. Na, das
weißt Du. Davon hab’ ich Dir ſchon oft genug er-
zaͤhlt; von unſerem huͤbſchen gruͤnumlaubten Haͤus-
chen hinter der Kirche, und wie er mich heimfuͤhrte,
als junge, ſchmucke Braut. Des Herrn Amtsdieners
Tonel haben ſie mich geheißen; denn mein Vater ſee-
lig war Amtsdiener beim hohen Rath. Aber wie ich
Hochzeit machte, war er ſchon lange todt; und meine
Mutter folgte ihm bald nach meiner Verheirathung,
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/23>, abgerufen am 21.11.2024.
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