rief sie Antoinette. Und da wurde zuletzt Nette daraus, und unsere Nachbarn meinten, der Name käme dah[er], daß sie so nett und sauber war. Denn sie wuchs auf in purer Schönheit, daß jeder stehen blieb und ihr nachstaunte, der ihr begegnete. Jch sah ihre Schön- heit auch, und ihre Klugheit und Anmuth, o ja, ich sah Alles, denn mein Gott, wofür wäre ich denn ihre leibliche Mutter gewesen? Daneben jedoch sah ich auch ihre Fehler: Jhren leichten Sinn, ihre Eitelkeit! Dein Großvater wollte davon nichts spüren; der hob nur die Tugenden heraus. Und als sie gar zu singen anfing, und als sie sämmtliche Schulkinder mit ihrer kräftigen, reinen Stimme besiegte, da war's gar aus! da kannte mein guter Mann nichts über seine Nette! Ja, wenn unser Herrgott die himmli- schen Heerschaaren herabgesendet hätte, daß sie vor meinem Manne musiziren müßten und singen, der hätte, glaube ich, geradezu gesagt: Sobald mein Nettel nicht mitsingt, will die ganze Musik nichts heißen. So war er. Freilich, himmlisch gesungen hat sie, das muß ich selbst eingestehen; mit vierzehn Jahren stand sie hier da, Anton, wie eine vollkommene Jungfrau, und wenn sie den kleinen Mund aufthat, und ihre Zähne wies, und die Stimme drang heraus,
rief ſie Antoinette. Und da wurde zuletzt Nette daraus, und unſere Nachbarn meinten, der Name kaͤme dah[er], daß ſie ſo nett und ſauber war. Denn ſie wuchs auf in purer Schoͤnheit, daß jeder ſtehen blieb und ihr nachſtaunte, der ihr begegnete. Jch ſah ihre Schoͤn- heit auch, und ihre Klugheit und Anmuth, o ja, ich ſah Alles, denn mein Gott, wofuͤr waͤre ich denn ihre leibliche Mutter geweſen? Daneben jedoch ſah ich auch ihre Fehler: Jhren leichten Sinn, ihre Eitelkeit! Dein Großvater wollte davon nichts ſpuͤren; der hob nur die Tugenden heraus. Und als ſie gar zu ſingen anfing, und als ſie ſaͤmmtliche Schulkinder mit ihrer kraͤftigen, reinen Stimme beſiegte, da war’s gar aus! da kannte mein guter Mann nichts uͤber ſeine Nette! Ja, wenn unſer Herrgott die himmli- ſchen Heerſchaaren herabgeſendet haͤtte, daß ſie vor meinem Manne muſiziren muͤßten und ſingen, der haͤtte, glaube ich, geradezu geſagt: Sobald mein Nettel nicht mitſingt, will die ganze Muſik nichts heißen. So war er. Freilich, himmliſch geſungen hat ſie, das muß ich ſelbſt eingeſtehen; mit vierzehn Jahren ſtand ſie hier da, Anton, wie eine vollkommene Jungfrau, und wenn ſie den kleinen Mund aufthat, und ihre Zaͤhne wies, und die Stimme drang heraus,
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rief ſie Antoinette. Und da wurde zuletzt Nette daraus,
und unſere Nachbarn meinten, der Name kaͤme daher,
daß ſie ſo nett und ſauber war. Denn ſie wuchs auf
in purer Schoͤnheit, daß jeder ſtehen blieb und ihr
nachſtaunte, der ihr begegnete. Jch ſah ihre Schoͤn-
heit auch, und ihre Klugheit und Anmuth, o ja, ich
ſah Alles, denn mein Gott, wofuͤr waͤre ich denn ihre
leibliche Mutter geweſen? Daneben jedoch ſah ich
auch ihre Fehler: Jhren leichten Sinn, ihre Eitelkeit!
Dein Großvater wollte davon nichts ſpuͤren; der
hob nur die Tugenden heraus. Und als ſie gar zu
ſingen anfing, und als ſie ſaͤmmtliche Schulkinder
mit ihrer kraͤftigen, reinen Stimme beſiegte, da war’s
gar aus! da kannte mein guter Mann nichts uͤber
ſeine Nette! Ja, wenn unſer Herrgott die himmli-
ſchen Heerſchaaren herabgeſendet haͤtte, daß ſie vor
meinem Manne muſiziren muͤßten und ſingen, der
haͤtte, glaube ich, geradezu geſagt: Sobald mein
Nettel nicht mitſingt, will die ganze Muſik nichts
heißen. So war er. Freilich, himmliſch geſungen
hat ſie, das muß ich ſelbſt eingeſtehen; mit vierzehn
Jahren ſtand ſie hier da, Anton, wie eine vollkommene
Jungfrau, und wenn ſie den kleinen Mund aufthat,
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/25>, abgerufen am 21.11.2024.
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