Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Herz gethan! -- Jch schau' hinab und sehe einen
Kornet von den Husaren, ein Bürschlein, nicht übler
als Du heute bist, schlank wie eine Tanne, aus Bild-
hauers Thüre treten; der dreht sich fast den Kopf aus
den Schultern und starrt empor nach der Brücke, wo
ich stehe. So wie er meiner ansichtig wird, macht er
links um und husch ist er im Hause wieder d'rin. Mir
brachen schier die Knie' zusammen unter meines Lei-
bes Last und ich mußte das letzte Restchen Kraft auf-
bieten, um weiter zu geh'n. "Wird sie zu Hause
sein?" Das war der einzige Gedanke, den ich fassen
konnte. Er kam mir auf die Zunge. Schritt vor
Schritt sprach ich weiter nichts, als: heiliger Gott,
wird sie zu Hause sein? Denn war sie nicht daheim,
dann war sie zu Bildhauers gegangen und dann wußt'
ich, woran ich war. So bieg' ich Dir um die Ecke,
in's kleine Gäßchen ein, das nach dem Kirchhofe führt
und eilig wie ich bin in meiner Todesangst renn' ich
an ein Frauenzimmer an, das verblüfft vor mir stehen
bleibt: es war meine Tochter! Wohin so spät, Antoi-
nette? ruf' ich ihr heftig in's Gesicht; und sie, roth
wie ein gekochter Krebs, stammelt nur: Dir entgegen,
Mutter. Na, so komm', sprech' ich, und reiße sie mit
mir fort und halte sie so fest am Arme, als ob die

Herz gethan! — Jch ſchau’ hinab und ſehe einen
Kornet von den Huſaren, ein Buͤrſchlein, nicht uͤbler
als Du heute biſt, ſchlank wie eine Tanne, aus Bild-
hauers Thuͤre treten; der dreht ſich faſt den Kopf aus
den Schultern und ſtarrt empor nach der Bruͤcke, wo
ich ſtehe. So wie er meiner anſichtig wird, macht er
links um und huſch iſt er im Hauſe wieder d’rin. Mir
brachen ſchier die Knie’ zuſammen unter meines Lei-
bes Laſt und ich mußte das letzte Reſtchen Kraft auf-
bieten, um weiter zu geh’n. „Wird ſie zu Hauſe
ſein?“ Das war der einzige Gedanke, den ich faſſen
konnte. Er kam mir auf die Zunge. Schritt vor
Schritt ſprach ich weiter nichts, als: heiliger Gott,
wird ſie zu Hauſe ſein? Denn war ſie nicht daheim,
dann war ſie zu Bildhauers gegangen und dann wußt’
ich, woran ich war. So bieg’ ich Dir um die Ecke,
in’s kleine Gaͤßchen ein, das nach dem Kirchhofe fuͤhrt
und eilig wie ich bin in meiner Todesangſt renn’ ich
an ein Frauenzimmer an, das verbluͤfft vor mir ſtehen
bleibt: es war meine Tochter! Wohin ſo ſpaͤt, Antoi-
nette? ruf’ ich ihr heftig in’s Geſicht; und ſie, roth
wie ein gekochter Krebs, ſtammelt nur: Dir entgegen,
Mutter. Na, ſo komm’, ſprech’ ich, und reiße ſie mit
mir fort und halte ſie ſo feſt am Arme, als ob die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="14"/>
Herz gethan! &#x2014; Jch &#x017F;chau&#x2019; hinab und &#x017F;ehe einen<lb/>
Kornet von den Hu&#x017F;aren, ein Bu&#x0364;r&#x017F;chlein, nicht u&#x0364;bler<lb/>
als Du heute bi&#x017F;t, &#x017F;chlank wie eine Tanne, aus Bild-<lb/>
hauers Thu&#x0364;re treten; der dreht &#x017F;ich fa&#x017F;t den Kopf aus<lb/>
den Schultern und &#x017F;tarrt empor nach der Bru&#x0364;cke, wo<lb/>
ich &#x017F;tehe. So wie er meiner an&#x017F;ichtig wird, macht er<lb/>
links um und hu&#x017F;ch i&#x017F;t er im Hau&#x017F;e wieder d&#x2019;rin. Mir<lb/>
brachen &#x017F;chier die Knie&#x2019; zu&#x017F;ammen unter meines Lei-<lb/>
bes La&#x017F;t und ich mußte das letzte Re&#x017F;tchen Kraft auf-<lb/>
bieten, um weiter zu geh&#x2019;n. &#x201E;Wird <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> zu Hau&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ein?&#x201C; Das war der einzige Gedanke, den ich fa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
konnte. Er kam mir auf die Zunge. Schritt vor<lb/>
Schritt &#x017F;prach ich weiter nichts, als: heiliger Gott,<lb/>
wird &#x017F;ie zu Hau&#x017F;e &#x017F;ein? Denn war &#x017F;ie nicht daheim,<lb/>
dann war &#x017F;ie zu Bildhauers gegangen und dann wußt&#x2019;<lb/>
ich, woran ich war. So bieg&#x2019; ich Dir um die Ecke,<lb/>
in&#x2019;s kleine Ga&#x0364;ßchen ein, das nach dem Kirchhofe fu&#x0364;hrt<lb/>
und eilig wie ich bin in meiner Todesang&#x017F;t renn&#x2019; ich<lb/>
an ein Frauenzimmer an, das verblu&#x0364;fft vor mir &#x017F;tehen<lb/>
bleibt: es war meine Tochter! Wohin &#x017F;o &#x017F;pa&#x0364;t, Antoi-<lb/>
nette? ruf&#x2019; ich ihr heftig in&#x2019;s Ge&#x017F;icht; und &#x017F;ie, roth<lb/>
wie ein gekochter Krebs, &#x017F;tammelt nur: Dir entgegen,<lb/>
Mutter. Na, &#x017F;o komm&#x2019;, &#x017F;prech&#x2019; ich, und reiße &#x017F;ie mit<lb/>
mir fort und halte &#x017F;ie &#x017F;o fe&#x017F;t am Arme, als ob die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0030] Herz gethan! — Jch ſchau’ hinab und ſehe einen Kornet von den Huſaren, ein Buͤrſchlein, nicht uͤbler als Du heute biſt, ſchlank wie eine Tanne, aus Bild- hauers Thuͤre treten; der dreht ſich faſt den Kopf aus den Schultern und ſtarrt empor nach der Bruͤcke, wo ich ſtehe. So wie er meiner anſichtig wird, macht er links um und huſch iſt er im Hauſe wieder d’rin. Mir brachen ſchier die Knie’ zuſammen unter meines Lei- bes Laſt und ich mußte das letzte Reſtchen Kraft auf- bieten, um weiter zu geh’n. „Wird ſie zu Hauſe ſein?“ Das war der einzige Gedanke, den ich faſſen konnte. Er kam mir auf die Zunge. Schritt vor Schritt ſprach ich weiter nichts, als: heiliger Gott, wird ſie zu Hauſe ſein? Denn war ſie nicht daheim, dann war ſie zu Bildhauers gegangen und dann wußt’ ich, woran ich war. So bieg’ ich Dir um die Ecke, in’s kleine Gaͤßchen ein, das nach dem Kirchhofe fuͤhrt und eilig wie ich bin in meiner Todesangſt renn’ ich an ein Frauenzimmer an, das verbluͤfft vor mir ſtehen bleibt: es war meine Tochter! Wohin ſo ſpaͤt, Antoi- nette? ruf’ ich ihr heftig in’s Geſicht; und ſie, roth wie ein gekochter Krebs, ſtammelt nur: Dir entgegen, Mutter. Na, ſo komm’, ſprech’ ich, und reiße ſie mit mir fort und halte ſie ſo feſt am Arme, als ob die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/30
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/30>, abgerufen am 03.12.2024.