Herz gethan! -- Jch schau' hinab und sehe einen Kornet von den Husaren, ein Bürschlein, nicht übler als Du heute bist, schlank wie eine Tanne, aus Bild- hauers Thüre treten; der dreht sich fast den Kopf aus den Schultern und starrt empor nach der Brücke, wo ich stehe. So wie er meiner ansichtig wird, macht er links um und husch ist er im Hause wieder d'rin. Mir brachen schier die Knie' zusammen unter meines Lei- bes Last und ich mußte das letzte Restchen Kraft auf- bieten, um weiter zu geh'n. "Wird sie zu Hause sein?" Das war der einzige Gedanke, den ich fassen konnte. Er kam mir auf die Zunge. Schritt vor Schritt sprach ich weiter nichts, als: heiliger Gott, wird sie zu Hause sein? Denn war sie nicht daheim, dann war sie zu Bildhauers gegangen und dann wußt' ich, woran ich war. So bieg' ich Dir um die Ecke, in's kleine Gäßchen ein, das nach dem Kirchhofe führt und eilig wie ich bin in meiner Todesangst renn' ich an ein Frauenzimmer an, das verblüfft vor mir stehen bleibt: es war meine Tochter! Wohin so spät, Antoi- nette? ruf' ich ihr heftig in's Gesicht; und sie, roth wie ein gekochter Krebs, stammelt nur: Dir entgegen, Mutter. Na, so komm', sprech' ich, und reiße sie mit mir fort und halte sie so fest am Arme, als ob die
Herz gethan! — Jch ſchau’ hinab und ſehe einen Kornet von den Huſaren, ein Buͤrſchlein, nicht uͤbler als Du heute biſt, ſchlank wie eine Tanne, aus Bild- hauers Thuͤre treten; der dreht ſich faſt den Kopf aus den Schultern und ſtarrt empor nach der Bruͤcke, wo ich ſtehe. So wie er meiner anſichtig wird, macht er links um und huſch iſt er im Hauſe wieder d’rin. Mir brachen ſchier die Knie’ zuſammen unter meines Lei- bes Laſt und ich mußte das letzte Reſtchen Kraft auf- bieten, um weiter zu geh’n. „Wird ſie zu Hauſe ſein?“ Das war der einzige Gedanke, den ich faſſen konnte. Er kam mir auf die Zunge. Schritt vor Schritt ſprach ich weiter nichts, als: heiliger Gott, wird ſie zu Hauſe ſein? Denn war ſie nicht daheim, dann war ſie zu Bildhauers gegangen und dann wußt’ ich, woran ich war. So bieg’ ich Dir um die Ecke, in’s kleine Gaͤßchen ein, das nach dem Kirchhofe fuͤhrt und eilig wie ich bin in meiner Todesangſt renn’ ich an ein Frauenzimmer an, das verbluͤfft vor mir ſtehen bleibt: es war meine Tochter! Wohin ſo ſpaͤt, Antoi- nette? ruf’ ich ihr heftig in’s Geſicht; und ſie, roth wie ein gekochter Krebs, ſtammelt nur: Dir entgegen, Mutter. Na, ſo komm’, ſprech’ ich, und reiße ſie mit mir fort und halte ſie ſo feſt am Arme, als ob die
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Herz gethan! — Jch ſchau’ hinab und ſehe einen
Kornet von den Huſaren, ein Buͤrſchlein, nicht uͤbler
als Du heute biſt, ſchlank wie eine Tanne, aus Bild-
hauers Thuͤre treten; der dreht ſich faſt den Kopf aus
den Schultern und ſtarrt empor nach der Bruͤcke, wo
ich ſtehe. So wie er meiner anſichtig wird, macht er
links um und huſch iſt er im Hauſe wieder d’rin. Mir
brachen ſchier die Knie’ zuſammen unter meines Lei-
bes Laſt und ich mußte das letzte Reſtchen Kraft auf-
bieten, um weiter zu geh’n. „Wird ſie zu Hauſe
ſein?“ Das war der einzige Gedanke, den ich faſſen
konnte. Er kam mir auf die Zunge. Schritt vor
Schritt ſprach ich weiter nichts, als: heiliger Gott,
wird ſie zu Hauſe ſein? Denn war ſie nicht daheim,
dann war ſie zu Bildhauers gegangen und dann wußt’
ich, woran ich war. So bieg’ ich Dir um die Ecke,
in’s kleine Gaͤßchen ein, das nach dem Kirchhofe fuͤhrt
und eilig wie ich bin in meiner Todesangſt renn’ ich
an ein Frauenzimmer an, das verbluͤfft vor mir ſtehen
bleibt: es war meine Tochter! Wohin ſo ſpaͤt, Antoi-
nette? ruf’ ich ihr heftig in’s Geſicht; und ſie, roth
wie ein gekochter Krebs, ſtammelt nur: Dir entgegen,
Mutter. Na, ſo komm’, ſprech’ ich, und reiße ſie mit
mir fort und halte ſie ſo feſt am Arme, als ob die
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/30>, abgerufen am 03.12.2024.
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