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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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bei der Neudorfer Muhme wieder leid machte. Jch
drehte auf dem Flecke um, ging nach Hause. Mir
war, als wenn ein böser Geist mir zuraunte: Das
Haus ist auf Deiner Tochter Schande gebaut. --
Zitt're nicht, armer Junge, bald kommt's noch schlim-
mer! -- Und wie ein böser Geist keinmal allein bleibt,
trat alsogleich ein zweiter an mich heran: die Frau
Thorschreiberin nämlich; das war ein schlimmes Weib,
Gott mög' ihr ewige Ruhe vergönnen. Die fing zu
schnattern an, wie es ihr Brauch, redete vom Hun-
dertsten in's Tausendste, von der Schule, von meinem
kleinen Garnhandel, von der Musik, von den Husaren,
und ob unsere Nettel sich denn getröstet habe über den
Ausmarsch der Eskadron? Der Himmel gab mir
Kraft, dem häßlichen Weibe nicht zu zeigen, wie
scharf ihrer Zunge Stachel in mein wundes Herze
drang. Jch hielt mich aufrecht und lachte ihr in die
Nase, daß es fast lustig klang. Dann ging ich meiner
Wege. Wie ich aber in unser Haus, wie ich in Dei-
ner Mutter Kammer gerathen bin, das kann ich Dir
nicht beschreiben, Anton, denn ich weiß es nicht. Jch
weiß nur, daß sie auf ihrem Bette saß und den Kopf
hängen ließ. Antonie, schrie ich sie an, so laut als
der Krampf, der mir die Kehle zuschnürte, mich

bei der Neudorfer Muhme wieder leid machte. Jch
drehte auf dem Flecke um, ging nach Hauſe. Mir
war, als wenn ein boͤſer Geiſt mir zuraunte: Das
Haus iſt auf Deiner Tochter Schande gebaut. —
Zitt’re nicht, armer Junge, bald kommt’s noch ſchlim-
mer! — Und wie ein boͤſer Geiſt keinmal allein bleibt,
trat alſogleich ein zweiter an mich heran: die Frau
Thorſchreiberin naͤmlich; das war ein ſchlimmes Weib,
Gott moͤg’ ihr ewige Ruhe vergoͤnnen. Die fing zu
ſchnattern an, wie es ihr Brauch, redete vom Hun-
dertſten in’s Tauſendſte, von der Schule, von meinem
kleinen Garnhandel, von der Muſik, von den Huſaren,
und ob unſere Nettel ſich denn getroͤſtet habe uͤber den
Ausmarſch der Eskadron? Der Himmel gab mir
Kraft, dem haͤßlichen Weibe nicht zu zeigen, wie
ſcharf ihrer Zunge Stachel in mein wundes Herze
drang. Jch hielt mich aufrecht und lachte ihr in die
Naſe, daß es faſt luſtig klang. Dann ging ich meiner
Wege. Wie ich aber in unſer Haus, wie ich in Dei-
ner Mutter Kammer gerathen bin, das kann ich Dir
nicht beſchreiben, Anton, denn ich weiß es nicht. Jch
weiß nur, daß ſie auf ihrem Bette ſaß und den Kopf
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[16/0032] bei der Neudorfer Muhme wieder leid machte. Jch drehte auf dem Flecke um, ging nach Hauſe. Mir war, als wenn ein boͤſer Geiſt mir zuraunte: Das Haus iſt auf Deiner Tochter Schande gebaut. — Zitt’re nicht, armer Junge, bald kommt’s noch ſchlim- mer! — Und wie ein boͤſer Geiſt keinmal allein bleibt, trat alſogleich ein zweiter an mich heran: die Frau Thorſchreiberin naͤmlich; das war ein ſchlimmes Weib, Gott moͤg’ ihr ewige Ruhe vergoͤnnen. Die fing zu ſchnattern an, wie es ihr Brauch, redete vom Hun- dertſten in’s Tauſendſte, von der Schule, von meinem kleinen Garnhandel, von der Muſik, von den Huſaren, und ob unſere Nettel ſich denn getroͤſtet habe uͤber den Ausmarſch der Eskadron? Der Himmel gab mir Kraft, dem haͤßlichen Weibe nicht zu zeigen, wie ſcharf ihrer Zunge Stachel in mein wundes Herze drang. Jch hielt mich aufrecht und lachte ihr in die Naſe, daß es faſt luſtig klang. Dann ging ich meiner Wege. Wie ich aber in unſer Haus, wie ich in Dei- ner Mutter Kammer gerathen bin, das kann ich Dir nicht beſchreiben, Anton, denn ich weiß es nicht. Jch weiß nur, daß ſie auf ihrem Bette ſaß und den Kopf haͤngen ließ. Antonie, ſchrie ich ſie an, ſo laut als der Krampf, der mir die Kehle zuſchnuͤrte, mich

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/32>, abgerufen am 23.11.2024.