Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre Stimme niemals geklungen. Von der Einwilli-
gung seiner Eltern jedoch schrieben der Herr Graf
nimmermehr nichts, oder doch nur von einer vorsichtig
zu behandelnden Angelegenheit.

Gegen Weihnachten wurde Antonie immer stiller,
einsilbiger, zurückgezogener. Auch ihre Kleidung ver-
nachlässigte sie, die sonst immer flink und sauber ein-
hergegangen, daß Alles an ihr knackte, mit einer Taille
zum umspannen. Jhr Umschlagetuch über ein dürf-
tiges Hauskleid, anders erblickten wir sie nicht mehr;
der Sonntagsstaat hing im Kasten. Den Verkehr
mit Bildhauers Christel hatte sie längst schon abge-
schnitten. Das war mir recht. Doch auch sonst
vergönnte sie keiner Schulfreundin das Wort. Sie
schien wie todt für Alles, was ihre Liebe nicht betraf.

Der heilige Weihnachtsabend rückte heran. Von
einer Stunde zur andern meinte ich, der Postbote
müsse eintreten und müsse heimlich-gesendete Gaben
bringen, mit denen der junge Graf seine traurige
Braut aus der Ferne bedenke. -- Vergebens! Wir
hatten einen Christbaum besorgt und ihn aus unserer
Armuth mit bescheidenen Geschenken aufgeputzt, so
gut wir's vermochten.

Da stehen wir um die Dunkelstunde in Vaters

ihre Stimme niemals geklungen. Von der Einwilli-
gung ſeiner Eltern jedoch ſchrieben der Herr Graf
nimmermehr nichts, oder doch nur von einer vorſichtig
zu behandelnden Angelegenheit.

Gegen Weihnachten wurde Antonie immer ſtiller,
einſilbiger, zuruͤckgezogener. Auch ihre Kleidung ver-
nachlaͤſſigte ſie, die ſonſt immer flink und ſauber ein-
hergegangen, daß Alles an ihr knackte, mit einer Taille
zum umſpannen. Jhr Umſchlagetuch uͤber ein duͤrf-
tiges Hauskleid, anders erblickten wir ſie nicht mehr;
der Sonntagsſtaat hing im Kaſten. Den Verkehr
mit Bildhauers Chriſtel hatte ſie laͤngſt ſchon abge-
ſchnitten. Das war mir recht. Doch auch ſonſt
vergoͤnnte ſie keiner Schulfreundin das Wort. Sie
ſchien wie todt fuͤr Alles, was ihre Liebe nicht betraf.

Der heilige Weihnachtsabend ruͤckte heran. Von
einer Stunde zur andern meinte ich, der Poſtbote
muͤſſe eintreten und muͤſſe heimlich-geſendete Gaben
bringen, mit denen der junge Graf ſeine traurige
Braut aus der Ferne bedenke. — Vergebens! Wir
hatten einen Chriſtbaum beſorgt und ihn aus unſerer
Armuth mit beſcheidenen Geſchenken aufgeputzt, ſo
gut wir’s vermochten.

Da ſtehen wir um die Dunkelſtunde in Vaters

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="20"/>
ihre Stimme niemals geklungen. Von der Einwilli-<lb/>
gung &#x017F;einer Eltern jedoch &#x017F;chrieben der Herr Graf<lb/>
nimmermehr nichts, oder doch nur von einer vor&#x017F;ichtig<lb/>
zu behandelnden Angelegenheit.</p><lb/>
        <p>Gegen Weihnachten wurde Antonie immer &#x017F;tiller,<lb/>
ein&#x017F;ilbiger, zuru&#x0364;ckgezogener. Auch ihre Kleidung ver-<lb/>
nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igte &#x017F;ie, die &#x017F;on&#x017F;t immer flink und &#x017F;auber ein-<lb/>
hergegangen, daß Alles an ihr knackte, mit einer Taille<lb/>
zum um&#x017F;pannen. Jhr Um&#x017F;chlagetuch u&#x0364;ber ein du&#x0364;rf-<lb/>
tiges Hauskleid, anders erblickten wir &#x017F;ie nicht mehr;<lb/>
der Sonntags&#x017F;taat hing im Ka&#x017F;ten. Den Verkehr<lb/>
mit Bildhauers Chri&#x017F;tel hatte &#x017F;ie la&#x0364;ng&#x017F;t &#x017F;chon abge-<lb/>
&#x017F;chnitten. Das war mir recht. Doch auch &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
vergo&#x0364;nnte &#x017F;ie keiner Schulfreundin das Wort. Sie<lb/>
&#x017F;chien wie todt fu&#x0364;r Alles, was ihre Liebe nicht betraf.</p><lb/>
        <p>Der heilige Weihnachtsabend ru&#x0364;ckte heran. Von<lb/>
einer Stunde zur andern meinte ich, der Po&#x017F;tbote<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e eintreten und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e heimlich-ge&#x017F;endete Gaben<lb/>
bringen, mit denen der junge Graf &#x017F;eine traurige<lb/>
Braut aus der Ferne bedenke. &#x2014; Vergebens! Wir<lb/>
hatten einen Chri&#x017F;tbaum be&#x017F;orgt und ihn aus un&#x017F;erer<lb/>
Armuth mit be&#x017F;cheidenen Ge&#x017F;chenken aufgeputzt, &#x017F;o<lb/>
gut wir&#x2019;s vermochten.</p><lb/>
        <p>Da &#x017F;tehen wir um die Dunkel&#x017F;tunde in Vaters<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0036] ihre Stimme niemals geklungen. Von der Einwilli- gung ſeiner Eltern jedoch ſchrieben der Herr Graf nimmermehr nichts, oder doch nur von einer vorſichtig zu behandelnden Angelegenheit. Gegen Weihnachten wurde Antonie immer ſtiller, einſilbiger, zuruͤckgezogener. Auch ihre Kleidung ver- nachlaͤſſigte ſie, die ſonſt immer flink und ſauber ein- hergegangen, daß Alles an ihr knackte, mit einer Taille zum umſpannen. Jhr Umſchlagetuch uͤber ein duͤrf- tiges Hauskleid, anders erblickten wir ſie nicht mehr; der Sonntagsſtaat hing im Kaſten. Den Verkehr mit Bildhauers Chriſtel hatte ſie laͤngſt ſchon abge- ſchnitten. Das war mir recht. Doch auch ſonſt vergoͤnnte ſie keiner Schulfreundin das Wort. Sie ſchien wie todt fuͤr Alles, was ihre Liebe nicht betraf. Der heilige Weihnachtsabend ruͤckte heran. Von einer Stunde zur andern meinte ich, der Poſtbote muͤſſe eintreten und muͤſſe heimlich-geſendete Gaben bringen, mit denen der junge Graf ſeine traurige Braut aus der Ferne bedenke. — Vergebens! Wir hatten einen Chriſtbaum beſorgt und ihn aus unſerer Armuth mit beſcheidenen Geſchenken aufgeputzt, ſo gut wir’s vermochten. Da ſtehen wir um die Dunkelſtunde in Vaters

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/36
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/36>, abgerufen am 21.11.2024.