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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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Zimmer, er und ich, bei geschlossenen Läden, stecken
kleine Wachskerzen auf die Zweige, hängen Naschwerk
daran und handthieren so stumm neben einander her.
Endlich fragt Dein Großvater: wie's wohl heut'
über's Jahr hier aussehen wird, Alte? Jch raffe mich
zusammen und spreche dreist: wie wird's denn aus-
sehen, Alter? Gut! Hm, sagt er wieder, ob der Graf
und die Nettel dann schon ein Paar sind? Und wie er
das sagt, vernehm' ich einen schneidenden Angstschrei
aus Antoniens Gemach herabdringen, der mir kurzweg
die Sprache verlegt. Der Alte hatte nichts gehört
denn er war schon lange taub für Alles, was nicht
Musik heißt. Da ruf' ich ihm in's Ohr: nun mach'
und zünde die Lichtlein an; ich gehe hinauf, die Nettel
holen! Und ich gehe hinauf, Anton, -- -- nein! nein,
ich kann nicht weiter -- ..."

-- Großmutter, ich bitte Dich, fahre fort! --

"Nun denn, nach einer Stunde saßen Dein Groß-
vater und ich vor Deiner Mutter Bett, die bleich
darin lag, ein schmerzvoll-süßes Lächeln um ihren
Mund. Jm Arme, mein lieber Anton, hielt sie Dich.
Aber Du warst sehr klein und schrie'st, wie wenn Du
am Spieße stecken thätest. Solches geschah am vier-
undzwanzigsten Dezember ...!

Zimmer, er und ich, bei geſchloſſenen Laͤden, ſtecken
kleine Wachskerzen auf die Zweige, haͤngen Naſchwerk
daran und handthieren ſo ſtumm neben einander her.
Endlich fragt Dein Großvater: wie’s wohl heut’
uͤber’s Jahr hier ausſehen wird, Alte? Jch raffe mich
zuſammen und ſpreche dreiſt: wie wird’s denn aus-
ſehen, Alter? Gut! Hm, ſagt er wieder, ob der Graf
und die Nettel dann ſchon ein Paar ſind? Und wie er
das ſagt, vernehm’ ich einen ſchneidenden Angſtſchrei
aus Antoniens Gemach herabdringen, der mir kurzweg
die Sprache verlegt. Der Alte hatte nichts gehoͤrt
denn er war ſchon lange taub fuͤr Alles, was nicht
Muſik heißt. Da ruf’ ich ihm in’s Ohr: nun mach’
und zuͤnde die Lichtlein an; ich gehe hinauf, die Nettel
holen! Und ich gehe hinauf, Anton, — — nein! nein,
ich kann nicht weiter — ...“

— Großmutter, ich bitte Dich, fahre fort! —

„Nun denn, nach einer Stunde ſaßen Dein Groß-
vater und ich vor Deiner Mutter Bett, die bleich
darin lag, ein ſchmerzvoll-ſuͤßes Laͤcheln um ihren
Mund. Jm Arme, mein lieber Anton, hielt ſie Dich.
Aber Du warſt ſehr klein und ſchrie’ſt, wie wenn Du
am Spieße ſtecken thaͤteſt. Solches geſchah am vier-
undzwanzigſten Dezember ...!

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[21/0037] Zimmer, er und ich, bei geſchloſſenen Laͤden, ſtecken kleine Wachskerzen auf die Zweige, haͤngen Naſchwerk daran und handthieren ſo ſtumm neben einander her. Endlich fragt Dein Großvater: wie’s wohl heut’ uͤber’s Jahr hier ausſehen wird, Alte? Jch raffe mich zuſammen und ſpreche dreiſt: wie wird’s denn aus- ſehen, Alter? Gut! Hm, ſagt er wieder, ob der Graf und die Nettel dann ſchon ein Paar ſind? Und wie er das ſagt, vernehm’ ich einen ſchneidenden Angſtſchrei aus Antoniens Gemach herabdringen, der mir kurzweg die Sprache verlegt. Der Alte hatte nichts gehoͤrt denn er war ſchon lange taub fuͤr Alles, was nicht Muſik heißt. Da ruf’ ich ihm in’s Ohr: nun mach’ und zuͤnde die Lichtlein an; ich gehe hinauf, die Nettel holen! Und ich gehe hinauf, Anton, — — nein! nein, ich kann nicht weiter — ...“ — Großmutter, ich bitte Dich, fahre fort! — „Nun denn, nach einer Stunde ſaßen Dein Groß- vater und ich vor Deiner Mutter Bett, die bleich darin lag, ein ſchmerzvoll-ſuͤßes Laͤcheln um ihren Mund. Jm Arme, mein lieber Anton, hielt ſie Dich. Aber Du warſt ſehr klein und ſchrie’ſt, wie wenn Du am Spieße ſtecken thaͤteſt. Solches geſchah am vier- undzwanzigſten Dezember ...!

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/37>, abgerufen am 21.11.2024.