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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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Es lag dazumal ein tiefer Schnee in unserer
Gegend. Jm Februar brach plötzlich Thauwetter
herein mit heißen Winden und lauem Regen. Man
mochte keinen Fuß vor die Thür stellen. Pocht es
eines Abends bei uns an. So spät? spricht der Alte.
Ein Brief! ruft Deine Mutter, und stürzt hinaus.
Es war so. Der Briefträger hatte wirklich einen
gebracht. Des Grafen Siegel, nicht seine Handschrift.
Deine Mutter las ihn ruhig durch, zwei-, dreimal.
Dann sagte sie: ich muß einen Sprung zu Bildhauers
machen; hab' eine nothwendige Bestellung. Jetzt,
in der Nacht, bei dem Wetter? frag' ich. Jch muß,
sagte sie, legte Dich auf ihr Bett, gab Dir einen Kuß
und nahm ihren Mantel um. Dann reichte sie mir
und meinem Alten die Hand. Du nimmst ja ordent-
lich Abschied? sprach der. Vielleicht bleib' ich über
Nacht aus, war ihre Antwort; pflegt den Jungen! --
Weg war sie!

So wett' ich doch, was Einer will, sagt' ich zu
Deinem Großvater, der Graf ist hier und bestellt sie
zum Gespräch. Desto besser, meinte der Alte,
vielleicht führt's zu gutem Ende.

Nun ja, freilich wohl, zum Ende hat es geführt.

Du schliefst so ruhig an meiner Seite, Anton, Du

Es lag dazumal ein tiefer Schnee in unſerer
Gegend. Jm Februar brach ploͤtzlich Thauwetter
herein mit heißen Winden und lauem Regen. Man
mochte keinen Fuß vor die Thuͤr ſtellen. Pocht es
eines Abends bei uns an. So ſpaͤt? ſpricht der Alte.
Ein Brief! ruft Deine Mutter, und ſtuͤrzt hinaus.
Es war ſo. Der Brieftraͤger hatte wirklich einen
gebracht. Des Grafen Siegel, nicht ſeine Handſchrift.
Deine Mutter las ihn ruhig durch, zwei-, dreimal.
Dann ſagte ſie: ich muß einen Sprung zu Bildhauers
machen; hab’ eine nothwendige Beſtellung. Jetzt,
in der Nacht, bei dem Wetter? frag’ ich. Jch muß,
ſagte ſie, legte Dich auf ihr Bett, gab Dir einen Kuß
und nahm ihren Mantel um. Dann reichte ſie mir
und meinem Alten die Hand. Du nimmſt ja ordent-
lich Abſchied? ſprach der. Vielleicht bleib’ ich uͤber
Nacht aus, war ihre Antwort; pflegt den Jungen! —
Weg war ſie!

So wett’ ich doch, was Einer will, ſagt’ ich zu
Deinem Großvater, der Graf iſt hier und beſtellt ſie
zum Geſpraͤch. Deſto beſſer, meinte der Alte,
vielleicht fuͤhrt’s zu gutem Ende.

Nun ja, freilich wohl, zum Ende hat es gefuͤhrt.

Du ſchliefſt ſo ruhig an meiner Seite, Anton, Du

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[24/0040] Es lag dazumal ein tiefer Schnee in unſerer Gegend. Jm Februar brach ploͤtzlich Thauwetter herein mit heißen Winden und lauem Regen. Man mochte keinen Fuß vor die Thuͤr ſtellen. Pocht es eines Abends bei uns an. So ſpaͤt? ſpricht der Alte. Ein Brief! ruft Deine Mutter, und ſtuͤrzt hinaus. Es war ſo. Der Brieftraͤger hatte wirklich einen gebracht. Des Grafen Siegel, nicht ſeine Handſchrift. Deine Mutter las ihn ruhig durch, zwei-, dreimal. Dann ſagte ſie: ich muß einen Sprung zu Bildhauers machen; hab’ eine nothwendige Beſtellung. Jetzt, in der Nacht, bei dem Wetter? frag’ ich. Jch muß, ſagte ſie, legte Dich auf ihr Bett, gab Dir einen Kuß und nahm ihren Mantel um. Dann reichte ſie mir und meinem Alten die Hand. Du nimmſt ja ordent- lich Abſchied? ſprach der. Vielleicht bleib’ ich uͤber Nacht aus, war ihre Antwort; pflegt den Jungen! — Weg war ſie! So wett’ ich doch, was Einer will, ſagt’ ich zu Deinem Großvater, der Graf iſt hier und beſtellt ſie zum Geſpraͤch. Deſto beſſer, meinte der Alte, vielleicht fuͤhrt’s zu gutem Ende. Nun ja, freilich wohl, zum Ende hat es gefuͤhrt. Du ſchliefſt ſo ruhig an meiner Seite, Anton, Du

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/40>, abgerufen am 21.11.2024.