wußtest von nichts. Dein Großvater schnarchte mit dem Thauwind um die Wette, der im Schornstein heulte. Jch schlief nicht. Bis Mitternacht lauscht' ich immer, ob nicht die Thüre gehen, ob Nette nicht heimkehren würde. Sie kam nicht. Dann überließ ich mein Haupt den traurigen Gedanken, die darin ihr Wesen treiben wollten. Und als ich endlich gegen Morgen einschlief, sah ich im Traume nichts als Was- ser; dickes, gelbes, trübes Wasser; daß ich meinem Gott dankte, wie mich der Tag erweckte. Nun sprach ich den Morgensegen, bereitete das Frühstück, räumte auf und wartete der Dinge, so da kommen sollten, doch in steter Todesangst. Mein Mann dagegen schien voll freudiger Zuversicht, und als er sich zu seinem Notenpapiere setzte, sagt' er läch[eln]d: vielleicht hat Er sie gleich mit sich genommen, zu seinen Eltern?
Aber ihr Kind? rief ich, auf Dich weisend.
Das macht' ihn stumm und nachdenklich. Doch durch diese Aeußerung war mir der Brief wiederum in den Sinn gekommen und war mir eingefallen, daß sie ihn in ihren Schubkasten gelegt. Jch holte ihn alsogleich heraus, nahm meine Brille, -- denn ich brauchte schon dazumal eine Brille--und las, Anton. Ach, ich weiß ihn auswendig, den gottverfluchten
wußteſt von nichts. Dein Großvater ſchnarchte mit dem Thauwind um die Wette, der im Schornſtein heulte. Jch ſchlief nicht. Bis Mitternacht lauſcht’ ich immer, ob nicht die Thuͤre gehen, ob Nette nicht heimkehren wuͤrde. Sie kam nicht. Dann uͤberließ ich mein Haupt den traurigen Gedanken, die darin ihr Weſen treiben wollten. Und als ich endlich gegen Morgen einſchlief, ſah ich im Traume nichts als Waſ- ſer; dickes, gelbes, truͤbes Waſſer; daß ich meinem Gott dankte, wie mich der Tag erweckte. Nun ſprach ich den Morgenſegen, bereitete das Fruͤhſtuͤck, raͤumte auf und wartete der Dinge, ſo da kommen ſollten, doch in ſteter Todesangſt. Mein Mann dagegen ſchien voll freudiger Zuverſicht, und als er ſich zu ſeinem Notenpapiere ſetzte, ſagt’ er laͤch[eln]d: vielleicht hat Er ſie gleich mit ſich genommen, zu ſeinen Eltern?
Aber ihr Kind? rief ich, auf Dich weiſend.
Das macht’ ihn ſtumm und nachdenklich. Doch durch dieſe Aeußerung war mir der Brief wiederum in den Sinn gekommen und war mir eingefallen, daß ſie ihn in ihren Schubkaſten gelegt. Jch holte ihn alſogleich heraus, nahm meine Brille, — denn ich brauchte ſchon dazumal eine Brille—und las, Anton. Ach, ich weiß ihn auswendig, den gottverfluchten
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[25/0041]
wußteſt von nichts. Dein Großvater ſchnarchte mit
dem Thauwind um die Wette, der im Schornſtein
heulte. Jch ſchlief nicht. Bis Mitternacht lauſcht’
ich immer, ob nicht die Thuͤre gehen, ob Nette nicht
heimkehren wuͤrde. Sie kam nicht. Dann uͤberließ
ich mein Haupt den traurigen Gedanken, die darin
ihr Weſen treiben wollten. Und als ich endlich gegen
Morgen einſchlief, ſah ich im Traume nichts als Waſ-
ſer; dickes, gelbes, truͤbes Waſſer; daß ich meinem
Gott dankte, wie mich der Tag erweckte. Nun ſprach
ich den Morgenſegen, bereitete das Fruͤhſtuͤck, raͤumte
auf und wartete der Dinge, ſo da kommen ſollten,
doch in ſteter Todesangſt. Mein Mann dagegen
ſchien voll freudiger Zuverſicht, und als er ſich zu
ſeinem Notenpapiere ſetzte, ſagt’ er laͤchelnd: vielleicht
hat Er ſie gleich mit ſich genommen, zu ſeinen Eltern?
Aber ihr Kind? rief ich, auf Dich weiſend.
Das macht’ ihn ſtumm und nachdenklich. Doch
durch dieſe Aeußerung war mir der Brief wiederum
in den Sinn gekommen und war mir eingefallen, daß
ſie ihn in ihren Schubkaſten gelegt. Jch holte ihn
alſogleich heraus, nahm meine Brille, — denn ich
brauchte ſchon dazumal eine Brille—und las, Anton.
Ach, ich weiß ihn auswendig, den gottverfluchten
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/41>, abgerufen am 09.11.2024.
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