schaffen. Früher, eh' ich Dich lieb hatte, war mir wohl manchmal, als ob ich's nicht aushielte. Seit- dem Du Dich für mich prügeln lassen, weiß ich doch einen Menschen auf der Welt, an den ich denken mag, ohne daß mich die Lust in den Gliedern zuckt, ihm wehe zu thun, oder einen Possen zu spielen. Bis dahin spürt' ich immer nur Haß und das zehrt Einem förmlich am Leben. Jetzt ist mir manchmal zu Muthe, als ob ich auch ein Gefühl haben könnte, wie andere Leute. Und vorhin, wo Du hier lagst und schliefst und ich mich über Dich bog und sah Dich im Schlafe mit den Lippen zucken, als wolltest Du lachen, da war mir eben, wie wenn ich weinen müßte. Aber es war mir gut dabei. So weich und gut, inwendig, verstehst Du mich, um's Herz herum; siehst Du, hier auf der Stelle."
Bei diesen Worten riß der Landstreicher sein gro- bes, sackleinenes Hemd von der sonnverbrannten Brust und zeigte dem staunenden Anton jenen Fleck, wo man des Herzens stürmischen Schlag wild gegen die Brust pochen sah, daß sie hoch empor bebte.
Du mußt krank sein, Wolfgang, rief Anton mit- leidig aus; so wüthend hammert keines gesunden Menschen Pulsschlag.
ſchaffen. Fruͤher, eh’ ich Dich lieb hatte, war mir wohl manchmal, als ob ich’s nicht aushielte. Seit- dem Du Dich fuͤr mich pruͤgeln laſſen, weiß ich doch einen Menſchen auf der Welt, an den ich denken mag, ohne daß mich die Luſt in den Gliedern zuckt, ihm wehe zu thun, oder einen Poſſen zu ſpielen. Bis dahin ſpuͤrt’ ich immer nur Haß und das zehrt Einem foͤrmlich am Leben. Jetzt iſt mir manchmal zu Muthe, als ob ich auch ein Gefuͤhl haben koͤnnte, wie andere Leute. Und vorhin, wo Du hier lagſt und ſchliefſt und ich mich uͤber Dich bog und ſah Dich im Schlafe mit den Lippen zucken, als wollteſt Du lachen, da war mir eben, wie wenn ich weinen muͤßte. Aber es war mir gut dabei. So weich und gut, inwendig, verſtehſt Du mich, um’s Herz herum; ſiehſt Du, hier auf der Stelle.“
Bei dieſen Worten riß der Landſtreicher ſein gro- bes, ſackleinenes Hemd von der ſonnverbrannten Bruſt und zeigte dem ſtaunenden Anton jenen Fleck, wo man des Herzens ſtuͤrmiſchen Schlag wild gegen die Bruſt pochen ſah, daß ſie hoch empor bebte.
Du mußt krank ſein, Wolfgang, rief Anton mit- leidig aus; ſo wuͤthend hammert keines geſunden Menſchen Pulsſchlag.
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ſchaffen. Fruͤher, eh’ ich Dich lieb hatte, war mir
wohl manchmal, als ob ich’s nicht aushielte. Seit-
dem Du Dich fuͤr mich pruͤgeln laſſen, weiß ich doch
einen Menſchen auf der Welt, an den ich denken mag,
ohne daß mich die Luſt in den Gliedern zuckt, ihm
wehe zu thun, oder einen Poſſen zu ſpielen. Bis
dahin ſpuͤrt’ ich immer nur Haß und das zehrt Einem
foͤrmlich am Leben. Jetzt iſt mir manchmal zu Muthe,
als ob ich auch ein Gefuͤhl haben koͤnnte, wie andere
Leute. Und vorhin, wo Du hier lagſt und ſchliefſt
und ich mich uͤber Dich bog und ſah Dich im Schlafe
mit den Lippen zucken, als wollteſt Du lachen, da
war mir eben, wie wenn ich weinen muͤßte. Aber es
war mir gut dabei. So weich und gut, inwendig,
verſtehſt Du mich, um’s Herz herum; ſiehſt Du, hier
auf der Stelle.“
Bei dieſen Worten riß der Landſtreicher ſein gro-
bes, ſackleinenes Hemd von der ſonnverbrannten
Bruſt und zeigte dem ſtaunenden Anton jenen Fleck,
wo man des Herzens ſtuͤrmiſchen Schlag wild gegen
die Bruſt pochen ſah, daß ſie hoch empor bebte.
Du mußt krank ſein, Wolfgang, rief Anton mit-
leidig aus; ſo wuͤthend hammert keines geſunden
Menſchen Pulsſchlag.
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/52>, abgerufen am 21.11.2024.
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