betrogen, im Stiche gelassen, in Tod und Verderben gestürzt. Wer ist nun schlechter? Der gemeine Her- umtreiber, der den Sohn mißhandelt, wenn dieser ihm ungelegen kommt? Oder mein eigener Vater, der niemals nach seinem Sohne fragte, so daß dieser sich nicht einmal rühmen darf, auch nur einen Schlag von der väterlichen Hand empfangen zu haben?
Der Vergleich fiel nicht zu Graf Guido's Gun- sten aus. Ja, wir wollen es eingestehen, Anton ver- irrte sich, von liebendem Bedauern für seine Mutter, und von inniger Dankbarkeit für die Großmutter angetrieben, so weit in rachsüchtigem Grolle gegen den, der ihm das Dasein gegeben, daß er ihn im Geiste an den nächsten hohen Baum aufknüpfte und eine Minute hindurch mit schauerlichem Behagen den passendsten Platz für seinen armen Sünder aufsuchte. Doch hielt diese Verwilderung eines ursprünglich zar- ten Gemüthes nicht lange an. Weh' über mich, rief er aus, was sind das für sündliche Bilder? Wer weiß, wie oft der junge Mann doch an mich gedacht hat? Vielleicht konnte er damals nicht anders, in der Klemme zwischen Liebe und kindlichem Gehorsam? Und später hat er mich vergessen. Das ist natürlich. Er hält mich für todt, wie meine Mutter. Gewiß hat
betrogen, im Stiche gelaſſen, in Tod und Verderben geſtuͤrzt. Wer iſt nun ſchlechter? Der gemeine Her- umtreiber, der den Sohn mißhandelt, wenn dieſer ihm ungelegen kommt? Oder mein eigener Vater, der niemals nach ſeinem Sohne fragte, ſo daß dieſer ſich nicht einmal ruͤhmen darf, auch nur einen Schlag von der vaͤterlichen Hand empfangen zu haben?
Der Vergleich fiel nicht zu Graf Guido’s Gun- ſten aus. Ja, wir wollen es eingeſtehen, Anton ver- irrte ſich, von liebendem Bedauern fuͤr ſeine Mutter, und von inniger Dankbarkeit fuͤr die Großmutter angetrieben, ſo weit in rachſuͤchtigem Grolle gegen den, der ihm das Daſein gegeben, daß er ihn im Geiſte an den naͤchſten hohen Baum aufknuͤpfte und eine Minute hindurch mit ſchauerlichem Behagen den paſſendſten Platz fuͤr ſeinen armen Suͤnder aufſuchte. Doch hielt dieſe Verwilderung eines urſpruͤnglich zar- ten Gemuͤthes nicht lange an. Weh’ uͤber mich, rief er aus, was ſind das fuͤr ſuͤndliche Bilder? Wer weiß, wie oft der junge Mann doch an mich gedacht hat? Vielleicht konnte er damals nicht anders, in der Klemme zwiſchen Liebe und kindlichem Gehorſam? Und ſpaͤter hat er mich vergeſſen. Das iſt natuͤrlich. Er haͤlt mich fuͤr todt, wie meine Mutter. Gewiß hat
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betrogen, im Stiche gelaſſen, in Tod und Verderben
geſtuͤrzt. Wer iſt nun ſchlechter? Der gemeine Her-
umtreiber, der den Sohn mißhandelt, wenn dieſer
ihm ungelegen kommt? Oder mein eigener Vater, der
niemals nach ſeinem Sohne fragte, ſo daß dieſer ſich
nicht einmal ruͤhmen darf, auch nur einen Schlag von
der vaͤterlichen Hand empfangen zu haben?
Der Vergleich fiel nicht zu Graf Guido’s Gun-
ſten aus. Ja, wir wollen es eingeſtehen, Anton ver-
irrte ſich, von liebendem Bedauern fuͤr ſeine Mutter,
und von inniger Dankbarkeit fuͤr die Großmutter
angetrieben, ſo weit in rachſuͤchtigem Grolle gegen
den, der ihm das Daſein gegeben, daß er ihn im
Geiſte an den naͤchſten hohen Baum aufknuͤpfte und
eine Minute hindurch mit ſchauerlichem Behagen den
paſſendſten Platz fuͤr ſeinen armen Suͤnder aufſuchte.
Doch hielt dieſe Verwilderung eines urſpruͤnglich zar-
ten Gemuͤthes nicht lange an. Weh’ uͤber mich, rief
er aus, was ſind das fuͤr ſuͤndliche Bilder? Wer
weiß, wie oft der junge Mann doch an mich gedacht
hat? Vielleicht konnte er damals nicht anders, in
der Klemme zwiſchen Liebe und kindlichem Gehorſam?
Und ſpaͤter hat er mich vergeſſen. Das iſt natuͤrlich.
Er haͤlt mich fuͤr todt, wie meine Mutter. Gewiß hat
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/57>, abgerufen am 21.11.2024.
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