Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

feinfühlenden Tieletunke nicht. Und wie sie scheinbar
den adelichsten Stolz gegen den armen Burschen an
den Tag legte, war sie ihm innerlich am herzlichsten
zugethan. Die Neckereien ihrer Schwestern hatten es
frühzeitig dahin gebracht, daß sie ihre wahren Empfin-
dungen in sich verbarg, wie eine Schnecke sich mit
bedrohten, oder gar betasteten Fühlhörnern in's Jnnere
des Hauses zurückzieht. Linz und Miez, minder fein
organisirt, und ihrem väterlichen Großnasenträger
eben so nahe verwandt, als Ottilie der durch sie und
ihr Geborenwerden entseelten zarteren Mutter, mach-
ten aus ihrer Vorliebe für Puschel und Rubs gar
kein Geheimniß. Diese drei Verhältnisse wuchsen mit
den drei Paaren heran, wie es eben nur in solchen
ländlichen Zuständen möglich. Es war eine werdende
Dorfgeschichte, -- nach altem Zuschnitt.

Jetzt sind Puschel und Rubs als wohlbestandene
Gymnasiasten in der Hauptstadt und kommen wäh-
rend der Schulferien, im Sommer auch oft über
Sonnabend und Sonntag nach Liebenau zum Be-
suche. Sie bereiten sich fleißig vor auf ihre Prüfun-
gen für den großen Schritt zur hohen Schule, den
man damals noch nicht so zeitig that, wie später; es

feinfuͤhlenden Tieletunke nicht. Und wie ſie ſcheinbar
den adelichſten Stolz gegen den armen Burſchen an
den Tag legte, war ſie ihm innerlich am herzlichſten
zugethan. Die Neckereien ihrer Schweſtern hatten es
fruͤhzeitig dahin gebracht, daß ſie ihre wahren Empfin-
dungen in ſich verbarg, wie eine Schnecke ſich mit
bedrohten, oder gar betaſteten Fuͤhlhoͤrnern in’s Jnnere
des Hauſes zuruͤckzieht. Linz und Miez, minder fein
organiſirt, und ihrem vaͤterlichen Großnaſentraͤger
eben ſo nahe verwandt, als Ottilie der durch ſie und
ihr Geborenwerden entſeelten zarteren Mutter, mach-
ten aus ihrer Vorliebe fuͤr Puſchel und Rubs gar
kein Geheimniß. Dieſe drei Verhaͤltniſſe wuchſen mit
den drei Paaren heran, wie es eben nur in ſolchen
laͤndlichen Zuſtaͤnden moͤglich. Es war eine werdende
Dorfgeſchichte, — nach altem Zuſchnitt.

Jetzt ſind Puſchel und Rubs als wohlbeſtandene
Gymnaſiaſten in der Hauptſtadt und kommen waͤh-
rend der Schulferien, im Sommer auch oft uͤber
Sonnabend und Sonntag nach Liebenau zum Be-
ſuche. Sie bereiten ſich fleißig vor auf ihre Pruͤfun-
gen fuͤr den großen Schritt zur hohen Schule, den
man damals noch nicht ſo zeitig that, wie ſpaͤter; es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0064" n="48"/>
feinfu&#x0364;hlenden Tieletunke nicht. Und wie &#x017F;ie &#x017F;cheinbar<lb/>
den adelich&#x017F;ten Stolz gegen den armen Bur&#x017F;chen an<lb/>
den Tag legte, war &#x017F;ie ihm innerlich am herzlich&#x017F;ten<lb/>
zugethan. Die Neckereien ihrer Schwe&#x017F;tern hatten es<lb/>
fru&#x0364;hzeitig dahin gebracht, daß &#x017F;ie ihre wahren Empfin-<lb/>
dungen in &#x017F;ich verbarg, wie eine Schnecke &#x017F;ich mit<lb/>
bedrohten, oder gar beta&#x017F;teten Fu&#x0364;hlho&#x0364;rnern in&#x2019;s Jnnere<lb/>
des Hau&#x017F;es zuru&#x0364;ckzieht. Linz und Miez, minder fein<lb/>
organi&#x017F;irt, und ihrem va&#x0364;terlichen Großna&#x017F;entra&#x0364;ger<lb/>
eben &#x017F;o nahe verwandt, als Ottilie der durch &#x017F;ie und<lb/>
ihr Geborenwerden ent&#x017F;eelten zarteren Mutter, mach-<lb/>
ten aus ihrer Vorliebe fu&#x0364;r Pu&#x017F;chel und Rubs gar<lb/>
kein Geheimniß. Die&#x017F;e drei Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e wuch&#x017F;en mit<lb/>
den drei Paaren heran, wie es eben nur in &#x017F;olchen<lb/>
la&#x0364;ndlichen Zu&#x017F;ta&#x0364;nden mo&#x0364;glich. Es war eine werdende<lb/>
Dorfge&#x017F;chichte, &#x2014; nach altem Zu&#x017F;chnitt.</p><lb/>
        <p>Jetzt &#x017F;ind Pu&#x017F;chel und Rubs als wohlbe&#x017F;tandene<lb/>
Gymna&#x017F;ia&#x017F;ten in der Haupt&#x017F;tadt und kommen wa&#x0364;h-<lb/>
rend der Schulferien, im Sommer auch oft u&#x0364;ber<lb/>
Sonnabend und Sonntag nach Liebenau zum Be-<lb/>
&#x017F;uche. Sie bereiten &#x017F;ich fleißig vor auf ihre Pru&#x0364;fun-<lb/>
gen fu&#x0364;r den großen Schritt zur hohen Schule, den<lb/>
man damals noch nicht &#x017F;o zeitig that, wie &#x017F;pa&#x0364;ter; es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0064] feinfuͤhlenden Tieletunke nicht. Und wie ſie ſcheinbar den adelichſten Stolz gegen den armen Burſchen an den Tag legte, war ſie ihm innerlich am herzlichſten zugethan. Die Neckereien ihrer Schweſtern hatten es fruͤhzeitig dahin gebracht, daß ſie ihre wahren Empfin- dungen in ſich verbarg, wie eine Schnecke ſich mit bedrohten, oder gar betaſteten Fuͤhlhoͤrnern in’s Jnnere des Hauſes zuruͤckzieht. Linz und Miez, minder fein organiſirt, und ihrem vaͤterlichen Großnaſentraͤger eben ſo nahe verwandt, als Ottilie der durch ſie und ihr Geborenwerden entſeelten zarteren Mutter, mach- ten aus ihrer Vorliebe fuͤr Puſchel und Rubs gar kein Geheimniß. Dieſe drei Verhaͤltniſſe wuchſen mit den drei Paaren heran, wie es eben nur in ſolchen laͤndlichen Zuſtaͤnden moͤglich. Es war eine werdende Dorfgeſchichte, — nach altem Zuſchnitt. Jetzt ſind Puſchel und Rubs als wohlbeſtandene Gymnaſiaſten in der Hauptſtadt und kommen waͤh- rend der Schulferien, im Sommer auch oft uͤber Sonnabend und Sonntag nach Liebenau zum Be- ſuche. Sie bereiten ſich fleißig vor auf ihre Pruͤfun- gen fuͤr den großen Schritt zur hohen Schule, den man damals noch nicht ſo zeitig that, wie ſpaͤter; es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/64
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/64>, abgerufen am 18.12.2024.