war noch nicht die Epoche frühreifer Weisheit und Gelehrsamkeit.
Anton, weniger unterrichtet, aber klüger als sie, flicht seine Körbe und in diese sammt den Weiden- ruthen gar manchen besonderen, eigenthümlichen Ge- danken, auf den die jungen Herrn Gelehrten schwer- lich gerathen dürften. Jhr Schulwissen hat sie geistig fast abgetödtet, und so sicher sie sich durch's Examen winden werden, so gewiß sind sie flache, nüchterne, wenn schon gutmüthige Gesellen.
Eben so bleiben, wie bereits angedeutet, Linz und Miez gar weit hinter Tieletunke zurück. Nicht allein an Geist, sondern was weit mehr sagen will, auch an Charakter. Die jüngste der Schwestern ist die selbst- ständigste, die an Willen festeste. Dabei ist sie trotzig- bescheiden, mit seltenen Ausnahmen nachgiebig, ja unterwürfig und den älteren gehorsam.
Jhr eigenthümliches Wesen zeigte sich schon her- vorragend, da sie, ein sechsjähriges Kind, mit den Kindern des Hofgesindes spielte. Alle barfüßigen kleinen Jungen, bis zu jenen zehnjährigen Schlingeln hinauf, welche bereits vom Dorfschulmeister für die kirchliche Kinderlehre vorbereitet wurden, fügten sich anerkennend ihrem geistigen Uebergewicht. Dieses
Die Vagabunden. I. 4
war noch nicht die Epoche fruͤhreifer Weisheit und Gelehrſamkeit.
Anton, weniger unterrichtet, aber kluͤger als ſie, flicht ſeine Koͤrbe und in dieſe ſammt den Weiden- ruthen gar manchen beſonderen, eigenthuͤmlichen Ge- danken, auf den die jungen Herrn Gelehrten ſchwer- lich gerathen duͤrften. Jhr Schulwiſſen hat ſie geiſtig faſt abgetoͤdtet, und ſo ſicher ſie ſich durch’s Examen winden werden, ſo gewiß ſind ſie flache, nuͤchterne, wenn ſchon gutmuͤthige Geſellen.
Eben ſo bleiben, wie bereits angedeutet, Linz und Miez gar weit hinter Tieletunke zuruͤck. Nicht allein an Geiſt, ſondern was weit mehr ſagen will, auch an Charakter. Die juͤngſte der Schweſtern iſt die ſelbſt- ſtaͤndigſte, die an Willen feſteſte. Dabei iſt ſie trotzig- beſcheiden, mit ſeltenen Ausnahmen nachgiebig, ja unterwuͤrfig und den aͤlteren gehorſam.
Jhr eigenthuͤmliches Weſen zeigte ſich ſchon her- vorragend, da ſie, ein ſechsjaͤhriges Kind, mit den Kindern des Hofgeſindes ſpielte. Alle barfuͤßigen kleinen Jungen, bis zu jenen zehnjaͤhrigen Schlingeln hinauf, welche bereits vom Dorfſchulmeiſter fuͤr die kirchliche Kinderlehre vorbereitet wurden, fuͤgten ſich anerkennend ihrem geiſtigen Uebergewicht. Dieſes
Die Vagabunden. I. 4
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war noch nicht die Epoche fruͤhreifer Weisheit und
Gelehrſamkeit.
Anton, weniger unterrichtet, aber kluͤger als ſie,
flicht ſeine Koͤrbe und in dieſe ſammt den Weiden-
ruthen gar manchen beſonderen, eigenthuͤmlichen Ge-
danken, auf den die jungen Herrn Gelehrten ſchwer-
lich gerathen duͤrften. Jhr Schulwiſſen hat ſie geiſtig
faſt abgetoͤdtet, und ſo ſicher ſie ſich durch’s Examen
winden werden, ſo gewiß ſind ſie flache, nuͤchterne,
wenn ſchon gutmuͤthige Geſellen.
Eben ſo bleiben, wie bereits angedeutet, Linz und
Miez gar weit hinter Tieletunke zuruͤck. Nicht allein
an Geiſt, ſondern was weit mehr ſagen will, auch an
Charakter. Die juͤngſte der Schweſtern iſt die ſelbſt-
ſtaͤndigſte, die an Willen feſteſte. Dabei iſt ſie trotzig-
beſcheiden, mit ſeltenen Ausnahmen nachgiebig, ja
unterwuͤrfig und den aͤlteren gehorſam.
Jhr eigenthuͤmliches Weſen zeigte ſich ſchon her-
vorragend, da ſie, ein ſechsjaͤhriges Kind, mit den
Kindern des Hofgeſindes ſpielte. Alle barfuͤßigen
kleinen Jungen, bis zu jenen zehnjaͤhrigen Schlingeln
hinauf, welche bereits vom Dorfſchulmeiſter fuͤr die
kirchliche Kinderlehre vorbereitet wurden, fuͤgten ſich
anerkennend ihrem geiſtigen Uebergewicht. Dieſes
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/65>, abgerufen am 24.11.2024.
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