kannte ihren Enkel hinreichend, um zu begreifen, daß er die Erinnerungen an seine Herkunft und seiner Mutter Schicksal für's Erste begraben wolle. Sie reichte ihm ihre Hand, schüttelte seine Rechte, wie man sie einem alten, treuerprobten Freunde schüttelt, und erwiederte nur: für Dein Pflegekind wollen wir Beide sorgen; -- und dann waren auch die Schloß- fräulen hier, sammt den Pastorjungen, sie wollten Dich abholen ...
"Zum Spaziergange?" unterbrach Anton die Großmutter; "was fällt denen auf einmal wieder ein? Sie haben eine Ewigkeit nicht nach mir gefragt!"
Nicht zum Spaziergange, fuhr die Alte fort; von dem kehrten sie schon zurück. Nein, auf's Schloß sollst Du kommen und Deine Geige mitbringen. Den alten Baron hatten sie bei sich, der hatte müssen um's ganze Dorf laufen; der keuchte sammt einem fremden Herrn hinter ihnen her und fluchte lästerlich über den weiten Marsch. Seine Nase spielte in allen Farben.
"Und Tieletunke?"
Die war auch dabei, natürlich. Aber die fragte nicht nach Dir und sprach überhaupt nicht.
"Dann gerade will ich gehen. Doch wer ist denn der Fremde?"
kannte ihren Enkel hinreichend, um zu begreifen, daß er die Erinnerungen an ſeine Herkunft und ſeiner Mutter Schickſal fuͤr’s Erſte begraben wolle. Sie reichte ihm ihre Hand, ſchuͤttelte ſeine Rechte, wie man ſie einem alten, treuerprobten Freunde ſchuͤttelt, und erwiederte nur: fuͤr Dein Pflegekind wollen wir Beide ſorgen; — und dann waren auch die Schloß- fraͤulen hier, ſammt den Paſtorjungen, ſie wollten Dich abholen ...
„Zum Spaziergange?“ unterbrach Anton die Großmutter; „was faͤllt denen auf einmal wieder ein? Sie haben eine Ewigkeit nicht nach mir gefragt!“
Nicht zum Spaziergange, fuhr die Alte fort; von dem kehrten ſie ſchon zuruͤck. Nein, auf’s Schloß ſollſt Du kommen und Deine Geige mitbringen. Den alten Baron hatten ſie bei ſich, der hatte muͤſſen um’s ganze Dorf laufen; der keuchte ſammt einem fremden Herrn hinter ihnen her und fluchte laͤſterlich uͤber den weiten Marſch. Seine Naſe ſpielte in allen Farben.
„Und Tieletunke?“
Die war auch dabei, natuͤrlich. Aber die fragte nicht nach Dir und ſprach uͤberhaupt nicht.
„Dann gerade will ich gehen. Doch wer iſt denn der Fremde?“
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kannte ihren Enkel hinreichend, um zu begreifen, daß
er die Erinnerungen an ſeine Herkunft und ſeiner
Mutter Schickſal fuͤr’s Erſte begraben wolle. Sie
reichte ihm ihre Hand, ſchuͤttelte ſeine Rechte, wie
man ſie einem alten, treuerprobten Freunde ſchuͤttelt,
und erwiederte nur: fuͤr Dein Pflegekind wollen wir
Beide ſorgen; — und dann waren auch die Schloß-
fraͤulen hier, ſammt den Paſtorjungen, ſie wollten
Dich abholen ...
„Zum Spaziergange?“ unterbrach Anton die
Großmutter; „was faͤllt denen auf einmal wieder
ein? Sie haben eine Ewigkeit nicht nach mir gefragt!“
Nicht zum Spaziergange, fuhr die Alte fort; von
dem kehrten ſie ſchon zuruͤck. Nein, auf’s Schloß
ſollſt Du kommen und Deine Geige mitbringen. Den
alten Baron hatten ſie bei ſich, der hatte muͤſſen um’s
ganze Dorf laufen; der keuchte ſammt einem fremden
Herrn hinter ihnen her und fluchte laͤſterlich uͤber den
weiten Marſch. Seine Naſe ſpielte in allen Farben.
„Und Tieletunke?“
Die war auch dabei, natuͤrlich. Aber die fragte
nicht nach Dir und ſprach uͤberhaupt nicht.
„Dann gerade will ich gehen. Doch wer iſt denn
der Fremde?“
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/75>, abgerufen am 21.11.2024.
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